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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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gelassen.«
    Er zuckte die Schultern. »Das können wir später noch holen.«
    »Nein, nein«, widersprach ich. »Wer auch immer den Brief aus dem Versteck genommen hat, könnte auch das Bild stehlen.«
    Einen Moment lang wirkte Westry besorgt, dann schüt telte er den Kopf. »Nein. Wer den Brief an sich genommen hat, hätte das Bild auch gleich mitnehmen können, aber das hat er nicht getan.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei«, beharrte ich. »Der Gedanke, dass das Gemälde in die Hände von Dieben geraten könnte, ist mir unerträglich. Es gehört in ein Museum, wo die Menschen es bewundern und würdigen können.«
    »Und wir werden dafür sorgen, dass es dort hinkommt«, versicherte mir Westry. »Sobald das Schiff weg ist. Ich verspreche es dir. Ich werde das Gemälde für dich aus der Hütte holen.«
    »Ganz bestimmt?«
    »Ja«, sagte er und gab mir einen Kuss auf die Nase.
    Ich öffnete die Tür zum Schwesterntrakt. »Sei vorsichtig.«
    »Du auch.«
    »Da sind Sie ja!«, zischte Schwester Hildebrand, die mir im Flur entgegenkam. Selbst wenn sie flüsterte, klang es, als würde sie schreien. »Ich habe keine Zeit, mir Ihre Erklärungen anzuhören. Alle anderen Schwestern sind längst in den Keller gegangen. Beeilen Sie sich gefälligst! Die Japaner kommen. Der Colonel hat Befehl gegeben, dass wir Frauen uns in Sicherheit bringen. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
    Mit klopfendem Herzen folgte ich Schwester Hildebrand die Treppe hinunter. Ich tastete an meinem Kragen nach der blauen Brosche, die Kitty mir geschenkt hatte. Einem spontanen Impuls folgend, hatte ich sie mir am Morgen angesteckt, aber jetzt stellte ich mit Entsetzen fest, dass sie verschwunden war. Ich blieb stehen.
    »Worauf warten Sie noch?«, fauchte Schwester Hildebrand mich an.
    Bestürzt schaute ich die Treppe hinunter, dann drehte ich mich zur Tür um. »Es ist nur …« Ich fühlte in meinen Taschen nach. »Ich habe etwas verloren. Etwas, das mir sehr wichtig ist.«
    »Ihr Leben ist Ihnen hoffentlich auch wichtig!«
    Ich nickte beklommen.
    »Dann setzen Sie sich in Bewegung. Wir müssen in den Keller.«
    Wie war es möglich, dass ich die Brosche verloren hatte? Ich stellte mir vor, wie sie am Strand lag und gerade von einer Welle davongespült wurde. Mich schauderte bei dem Gedanken an Kitty. War das ein Zeichen? Bedeutete das das Ende unserer Freundschaft?
    Ich folgte Schwester Hildebrand nach unten, durch eine Tür, die sie hinter uns verriegelte. Dann zog sie einen Teppich beiseite und öffnete eine Falltür. »Sie zuerst«, sagte sie und zeigte in das dunkle Loch.
    Ich stieg die Leiter hinunter in einen düsteren Raum, in dem einige Laternen flackerten. Im schummrigen Licht konnte ich Stella und Liz und noch ein paar andere bekannte Gesichter ausmachen.
    »Kitty?«, rief ich. »Bist du hier?«
    Stille. Ich drehte mich besorgt zu Schwester Hildebrand um.
    »Sie ist da drüben«, sagte sie und zeigte in eine Ecke, in der eine einzelne Laterne brannte.
    »Kitty«, sagte ich und ging zu der Ecke, bis ich ihr ver ängstigtes Gesicht erkannte. Mit zerzausten Haaren hockte sie am Boden, den Rücken gegen die Wand gelehnt, und schaute mich niedergeschlagen an.
    »Ich hatte schon Angst, du würdest nicht kommen«, sagte sie und wischte sich eine Träne fort.
    Ich setzte mich neben sie und drückte ihre Hand. »Jetzt bin ich da.«
    Keine von uns wusste, was sich draußen abspielte. Nach zwei Stunden, die uns vorkamen wie zwölf, gab Schwester Hildebrand mit Stellas Hilfe Verpflegungsrationen aus: Wasser und Bohnen. Die Vorräte würden für mehrere Tage reichen, wenn nicht sogar für Wochen. Bei der Vorstellung, wochenlang im Dunkeln hocken und Dosenfleisch mit Bohnen essen zu müssen, drehte sich mir der Magen um.
    »Hier«, sagte Stella und reichte mir eine Feldflasche. Ich trank einen Schluck und schüttelte mich. Das Wasser schmeckte nach Rost.
    Ein Geräusch ließ uns alle erstarren. Über uns waren plötzlich Schritte zu hören.
    »Schwestern«, flüsterte Schwester Hildebrand und griff nach dem Gewehr, das neben ihr an der Wand lehnte. »Löschen Sie die Laternen.«
    Wir gehorchten und lauschten in der Dunkelheit auf die Schritte, die näher kamen und lauter wurden. Wir hörten ein Poltern, dann ein Quietschen, als die Falltür geöffnet wurde. Ich drückte Kittys Hand. Großer Gott. Die Japaner .
    Doch dann sagte eine vertraute Stimme: »Die Luft ist rein, meine Damen. Das Schiff ist nach Westen abgedreht.

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