Einem Tag mit dir
hatte.
»Mein Flug geht in einer Stunde«, sagte sie verträumt, den Blick auf die Hügel vor dem Fenster gerichtet, die sie so gern betrachtete. Ich fragte mich, was sie in den Hügeln zu sehen glaubte. »Schwester Hildebrand und ich werden einer Einheit zugeordnet, die morgen nach Frankreich fliegt. Und dann …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
Kitty in Frankreich. Ganz allein . Ich machte mir große Sorgen um sie, so wie damals, als sie mir eröffnet hatte, dass sie in den Südpazifik aufbrechen werde. Was ich von ihren Gefühlen für Westry hielt, spielte dabei keine Rolle. Ich wusste, dass irgendwo unter ihrem emotionalen Schutz panzer immer noch meine beste Freundin steckte. Aber diesmal würde ich sie nicht begleiten.
»Ach, Kitty!«, sagte ich und sprang auf. Wenn ich ihren Schutzpanzer doch bloß hätte durchdringen können . »Warum ist zwischen uns alles so anders geworden?«
Kitty zuckte die Schultern und nahm ihre Tasche. Sie schaute mich lange an. »Das muss der Einfluss der Insel sein«, sagte sie schließlich.
»Nein, Kitty, so darfst du nicht reden!«, rief ich und hörte selbst die Panik in meiner Stimme – Panik vor dem Ende einer Freundschaft. Ich überlegte, wo ich als Freundin versagt hatte. Ich hätte mehr Zeit mit ihr verbringen sollen. Ich hätte mich in den letzten Wochen ihrer Schwangerschaft mehr um sie kümmern sollen. Und vor allem hätte ich ihr gegenüber offener sein müssen. Ich hatte zu viele Geheimnisse vor ihr gehabt. Obwohl ich versprochen hatte, es nie so weit kommen zu lassen. »Kitty«, sagte ich, »ich habe mich nicht verändert. Ich bin immer noch dieselbe. Und ich wette, tief in deinem Herzen bist auch du immer noch dieselbe. Ich möchte so gern, dass wir beste Freundinnen bleiben.«
Sie sah mich mit Augen an, die mir fremd waren. Sie waren müde, älter, härter. »Ja, das würde ich mir auch wünschen«, sagte sie und wandte sich ab. »Aber ich glaube nicht, dass das jetzt noch möglich ist.«
Ich nickte und spürte, dass mir die Tränen in die Augen stiegen und über die Wangen liefen, ohne dass ich es verhindern konnte.
»Mach’s gut, Anne«, sagte Kitty, ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen. Ihr Ton war kühl, so wie sie früher bei sich zu Hause mit den Bediensteten gesprochen hatte oder mit der Verkäuferin im Lebensmittelladen. Am liebsten hätte ich geschrien: Kitty, hör auf damit! Lass uns dieses Versteckspiel beenden! Aber ich stand nur stumm da, zu verdutzt, zu traurig, um ein Wort herauszubringen. »Ich wünsche dir alles Gute«, sagte sie und griff nach dem Türknauf. »In jeder Hinsicht.«
Die Tür fiel zu, und die Stille im Zimmer schien mir in den Ohren zu dröhnen. Ich sank zu Boden und weinte, stundenlang, wie mir schien. Welches Recht hatte sie, unsere Freundschaft einfach so für beendet zu erklären? Wie konnte sie so eiskalt sein?
Als die Uhr elf zeigte, überwand ich mich aufzustehen. Ich hatte Westry versprochen, ihn auf der Landebahn zu verabschieden, bevor ich selbst ins Flugzeug steigen würde. Unser Flug ging in einer halben Stunde.
Ich stellte meine Tasche an die Tür und betrachtete im Spiegel meine verheulten Augen. Ich erkannte mich kaum wieder.
Einen Moment lang fürchtete ich, ihn nicht zu finden. Mit zusammengekniffenen Augen suchte ich die Menge der uniformierten Soldaten ab. Eine kleine Gruppe würde auf der Insel zurückbleiben, aber die Mehrzahl, unter ihnen Westry, wurde zu einem neuen Einsatz geschickt. Frankreich. Großbritannien. Und ein paar Glückliche würden wie ich nach Hause zurückkehren.
Schließlich entdeckte ich ihn, und unsere Blicke begegneten sich.
Obwohl aus dem Lautsprecher der Befehl ertönte, die Schwestern sollten das Flugzeug besteigen, stellte ich mei ne Tasche bei Stella und Liz ab und rannte zu Westry hinüber. Er hob mich hoch, und wir küssten uns.
»Nicht weinen, Liebste«, sagte er und wischte mir eine Träne von der Wange. »Das ist kein endgültiger Ab schied.«
»Das können wir nicht wissen«, entgegnete ich und streichelte ihm das frisch rasierte Kinn. »Wir wissen nicht, was uns erwartet.«
Westry nickte, nahm ein Sträußchen Hibiskusblüten aus seiner Tasche und überreichte es mir. Es war mit einem weißen Band zusammengebunden. Kitty . »Diese Blumen«, stammelte ich. »Gestern hast du Kitty die gleichen geschenkt, nicht wahr?«
Westry wirkte verwirrt, dann nickte er. »Äh, ja«, sagte er. »Ich …«
Eine Stimme meldete sich über Lautsprecher: »Alle Männer an
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