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Einem Tag mit dir

Einem Tag mit dir

Titel: Einem Tag mit dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Jio
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ich.«
    »Gar nichts weiß sie. Wenn wir versuchen würden, für Gerechtigkeit zu sorgen, würden wir etwas auslösen, was noch viel schlimmer wäre als die Schuld, die wir beide auf uns geladen haben mögen, indem wir geschwiegen ha ben.« Westry setzte sich in den alten Mahagonistuhl. Zum ersten Mal sah ich ihm an, dass unser schreckliches Geheimnis ihn belastete. Er wollte es ebenso wenig für sich behalten wie ich, und doch hielt er an seiner Überzeugung fest. »Wie soll ich dir begreiflich machen, dass wir keine Möglichkeit haben, für Gerechtigkeit zu sorgen? Jedenfalls nicht die Art, die dir vorschwebt. Es ist nicht zu ändern.«
    Ich nickte und nahm seine Hand. Vielleicht waren das unsere letzten gemeinsamen Stunden, und ich wollte sie nicht mit einem Streit verderben. Ich streckte den Kopf aus dem Fenster. In der Ferne konnte ich das Kriegsschiff ausmachen. »Es ist immer noch da«, sagte ich.
    Als Westry mich an sich zog, dachte ich an den Brief, den ich ihm hinterlassen hatte. Ob er ihn schon gelesen hatte? Ob er auch mit mir zusammenleben wollte? Ich seufzte ängstlich.
    »Westry«, flüsterte ich.
    »Ja, Liebes.«
    »Hast du meinen Brief gefunden?«
    »Nein«, sagte er. »Ich bin schon seit Tagen nicht mehr hier gewesen.« Er wollte die Bodendiele anheben, um den Brief aus dem Versteck zu nehmen, aber ich hielt ihn am Arm fest.
    »Noch nicht«, sagte ich verlegen. »Steck ihn ein, wenn wir gehen. Ich möchte, dass du allein bist, wenn du ihn liest.«
    »Steht denn etwas Schlimmes drin?«
    »Nein, nein«, sagte ich hastig. »Wart’s ab, du wirst schon sehen.«
    Er nickte und zog mich fest an sich. Dann schaltete er den Rundfunkempfänger auf dem Schreibtisch an und suchte den französischen Sender.
    »Lass uns jetzt nur an unsere Liebe denken«, sagte er, als wir uns im Takt der Musik wiegten.
    »Einverstanden«, flüsterte ich, und als hätte er eine Zauberformel gesprochen, waren der Krieg, meine Sorgen wegen der Freundschaft mit Kitty und die Erinnerungen an den Mord im selben Augenblick verschwunden. Die Hütte gehörte wieder uns, uns ganz allein.
    Kurz nach Sonnenuntergang gab Westry mir einen Kuss auf die Wange. »Wir sollten jetzt lieber zurückgehen«, sagte er. Ich spürte, wie seine Anspannung wuchs, und das machte mir Sorgen. Ich wusste nicht, ob es der Feind war, der ihn nervös machte, oder der Gedanke, vor dem wir uns beide fürchteten – dass unsere gemeinsame Zeit bald vorüber sein würde.
    »Wahrscheinlich hast du recht«, sagte ich, überlegte jedoch, ob es nicht besser wäre, hier in der Hütte auszuharren, falls die Japaner auf der Insel landen sollten. Vielleicht würde der Fluch der Hütte uns schützen?
    Ich glättete mein Kleid und machte meine Haarspange fest. »Vergiss deinen Brief nicht«, sagte ich, als Westry die Tür öffnete.
    »Ach ja, sicher«, sagte er, bückte sich und hob die Bodendiele an. »Moment mal.« Er schaute mich an. »Hier ist kein Brief.«
    »Quatsch«, entgegnete ich und kniete mich neben ihn. »Natürlich ist da ein Brief. Vielleicht habe ich ihn zu tief hineingeschoben.« Ich langte tief in den Hohlraum, stellte jedoch zu meinem Entsetzen fest, dass tatsächlich kein Brief darin lag.
    »O mein Gott, Westry«, rief ich entgeistert aus. »Er ist weg!«
    »Was soll das heißen? Niemand kennt unser Versteck. Es sei denn, du hast jemandem davon erzählt.«
    »Das habe ich nicht!«, entgegnete ich empört.
    Über dem Meer blitzte ein Licht auf und lenkte Westry ab. »Das müssen wir später klären«, sagte er. »Ich bringe dich jetzt zurück.«
    Die Tür quietschte beim Schließen, und Westry verrie gelte sie mit ernster Miene. »Wir nehmen den Dschungel pfad«, sagte er. »Das ist sicherer.«
    Ich nickte und schob meine Hand in seine. Während wir durch das Gestrüpp stapften, dachte ich an den Brief. Wer konnte ihn an sich genommen haben? Und warum? Jetzt, wo uns nur noch so wenig Zeit blieb, wollte ich, dass Westry meine Gefühle kannte und wusste, was ich mir für die Zukunft wünschte, für die Zeit nach dem Krieg. Würde ich Gelegenheit finden, ihm meine Gefühle zu offenbaren? Empfand er dasselbe wie ich?
    Aber als wir das Camp erreichten, dachte ich nicht mehr an den Brief. Etwas anderes bedrückte mich.
    »Westry?«, flüsterte ich ängstlich, als er mich zum Ein gang der Frauenunterkünfte begleitete. »Wir müssen noch einmal zurück!«
    Er sah mich verdattert an. »Warum?«
    »Das Gemälde«, sagte ich. »Wir haben das Gemälde in der Hütte

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