Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
können.«
Johanna parierte mit erneutem Zusammenziehen der Augenbrauen und einem »Aha«. Der Polizist sprach die Schlussformel: »Wenn es sonst keine Anmerkungen oder Fragen mehr gibt, dann würde ich an der Stelle jetzt aufhören.«
Johanna meldete sich erneut.
»Doch, ich möchte noch etwas wissen. Können Sie noch etwas über den Rausch sagen? Ich meine, bei den harten Sachen. Haben Sie irgendwelche Berichte von Betroffenen, vielleicht unmittelbare Interviews?«
Nein, das war keine Alte Jungfer, das war ein ganz anderes Kaliber, wusste der Polizist nun mit Bestimmtheit, sie gehörte zu jenen Mädchen, die sich für besonders schlau hielten, sie wollte ihm eine Falle stellen, er zögerte die Antwort hinaus, Johanna setzte nach:
»Wissen Sie, Sie haben uns jetzt all diese schlimmenSachen erzählt und die Bilder gezeigt, das ist alles nichts Neues, das weiß man ja, dass so ein Leben nicht schön ist, aber ich frage mich nun, warum sie das alles auf sich nehmen – ich weiß, Sie werden sagen, weil sie süchtig sind – aber das meine ich nicht –, mich interessieren die wenigen Minuten, in denen es sich wirklich großartig anfühlt.«
»Am besten, du gehst selbst nachfragen am Bahnhof«, höhnte der Polizist.
Die aufgeweckte Jugend rutschte auf den Stühlen hin und her, eine noch nicht ausdifferenzierte Unruhe war entstanden. Johannas Gesichtsausdruck blieb unverändert, wissenschaftlich, neutral, forschend.
»Bei uns am Bahnhof gibt es, soviel ich weiß und sehe, keine Junkies. Außerdem wurden Sie als Experte angekündigt.«
Gelächter und anerkennende Zurufe – ja, genau! – von Seiten der Jugend. Die Glocke läutete, die Stunde war zu Ende, doch alle blieben sitzen und warteten auf die Reaktion des Polizisten. Er hatte sich jedoch bereits abgewandt, packte seine Requisiten und Folien ein und verabschiedete sich mit einem »Macht’s gut und bleibt sauber«.
Im Hinausgehen lächelten die Mitschüler, auch die ranghöchsten, Johanna zu. Ihr auf die Schulter zu klopfen trauten sie sich nicht.
Schon am nächsten Tag wurde weiter aufgeklärt. Luise, Ringe durch Nasenflügel und Unterlippe, Pagenkopf,aber nur eine Hälfte, die andere abrasiert, den Flor der Geigenschülerin erst vor einem Jahr abgelegt, eine stinkende Flohmarktkunstlederjacke angelegt, beugte sich vor Unterrichtsbeginn tief über meine und Johannas Schulbank, sie berührte mit ihrem Lippenring beinahe Johannas Stirn, Johanna rückte demonstrativ mit dem Stuhl zurück, Luise rückte nach und setzte sich mit dem halben Hintern auf unsere Tischplatte.
»Fand ich cool gestern«, sagte sie und überreichte Johanna eine Kassette. »Velvet Underground, siebtes Lied, dann weißt du, wie sich’s anfühlt.« Johanna nahm die Kassette und warf sie, ohne sie anzuschauen, in ihre HL-Plastiktüte.
»Danke, ich werde sie mir beizeiten anhören. Du solltest jetzt auf deinen Platz gehen, der Unterricht beginnt gleich.«
Luise schob ihren Hintern so schnell von unserer Tischplatte, dass sie beinahe vornüberfiel. Etwas in der Art, wie sie in ihren nachlässig geschnürten Lederstiefeln zurück in die hintere Sitzbankreihe schlurfte, zeigte an, dass sich ihr Verständnis von der Welt und wie die Dinge in ihr geordnet waren, kurzzeitig verwirrt hatte.
Die beiden Sexualaufklärungspädagoginnen schlugen vor, die Tische an die Wand zu schieben und dann einen großen Stuhlkreis zu bilden. »Es ist doch schöner, wenn man sich im Gespräch auch anschauenkann.« Sie stellten buntbemalte Kartons in die Mitte des Kreises. »Dazu kommen wir später«, sagten sie und zwinkerten schelmisch.
»Inhalte sollen auf spielerische Weise vermittelt werden«, flüsterte Johanna mir zu. Sie wippte nervös mit dem Fuß. »Zum Einstieg ein kleines Spiel zum Warmwerden.«
Die Aufklärungspädagoginnen teilten Karteikarten aus. Sie waren mit Begriffen beschriftet, die wir paarweise pantomimisch darstellen sollten. Der Rest der Klasse sollte die Begriffe raten. Der, den ich mit Johanna darstellen sollte, war vergleichsweise harmlos, »PMS«, dennoch erklärte Johanna: »Ich werde nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen.«
Die Pädagoginnen versuchten einzulenken, schlugen ihr vor, eine andere Karte zu ziehen, doch Johanna ging nicht darauf ein. Sie bestanden auf einer von den Eltern ausgestellten Befreiung, doch Johanna ließ sich nicht beirren.
»Ich werde nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen«, wiederholte sie, »ich habe ein Schamgefühl, das mir das verbietet.
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