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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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Zudem zweifle ich Ihre Kompetenz an.«
    Die Pädagoginnen reagierten so verblüfft, dass sie zunächst nichts zu erwidern wussten. Ich nutzte diese Pause, stand auf und erklärte, auch nicht teilnehmen zu wollen. Der Klassenlehrer musste dazugeholt werden, um zu klären, was in diesem Fall mit uns geschehensollte. Eine der Pädagoginnen machte sich auf den Weg, ihn zu holen, Johanna und ich gingen, erneut mit den Sympathiebekundungen von Seiten der Mitschüler im Rücken, nach vorn zum Pult, wo wir auf die Ankunft des Klassenlehrers warteten, und versuchten, unsere Ohren vor der Diskussion um den Unterschied zwischen Onanie und Masturbation zu verschließen. Es vergingen fünfzehn Minuten, bis der Klassenlehrer schließlich kam, Johanna wiederholte ihre Worte, während unsere Klassenkameradinnen im Stuhlkreis Kondome über Plastikpenisse stülpten. Der Klassenlehrer schmunzelte.
    »Na gut«, sagte er, »aber gehen lassen kann ich euch nicht.« Er überlegte kurz. »Wie wär’s, wenn ihr die Gegenstände in den Schaukästen im Naturwissenschaftsflügel abstaubt und reinigt?«
    Mit rosa und blauen Wedeln fuhren wir über das Fell von Dachsen und Füchsen, über das Gefieder einer Eule und ein Molekülmodell. Ich dachte an die Sportbuben und den Brahmanen.
    Nachmittags im Gartenhaus hörten wir Luises Kassette. Es war sehr heiß, wir hatten die Schiebetüren ganz aufgeschoben und lagen, alle viere von uns gestreckt, auf der Matratze. Wir warteten auf Lied sieben. Als es vorbei war, sagte Johanna: »Zurückspulen«, und ich stand auf und spulte zurück, und nach knapp acht Minuten stand sie auf und spulte zurück und dann noch einmal, schließlich zogenwir den Kassettenrekorder so weit wie möglich an die Matratze heran. Wenn wir uns weit genug streckten, konnten wir ihn im Liegen noch erreichen. Wir hörten Lied sieben, bis wir einschliefen.

6.
    Johanna teilt sich ein Büro mit Herrn Grasleitner. Früher sagte man »der Burli mit dem Weiberarsch« und meinte den Herrn Grasleitner, heute sprechen selbst die Alten auf den Bänken, die sich nur sehr widerwillig von ihren Namensschöpfungen trennen, vom »jungen Grasleitner von der Krankenkasse«, wenn sie über ihn reden. Vieles hat sich verändert. Auf Johannas Schreibtisch steht neben dem Computerbildschirm eine mit Servietten ausgelegte Tupperbox, die ein diffizil belegtes Vollkornbrot präsentiert, daneben ein Apfel und eine farbige Thermoskanne, wie ich sie auch schon in Vorlesungen aus den sorgfältig gepackten Fahrradtaschen einiger besonders aufgeräumter Kommilitoninnen herausragen sah. Johanna erkennt mich sofort. Ich erkenne sie nur, weil ich zuvor Erkundigungen eingezogen habe. »Soviel ich weiß, ist sie, nachdem sie die Lehre abgeschlossen hat, gleich übernommen worden. Scheint ihr zu taugen da«, hatte meine Mutter gesagt.
    Ich sage: »Hallo, Johanna.«
    Sie sagt: »Ah, Frau Murr, Sie auch einmal wieder im Lande?«
    Ich sage: »Ja, schon. Irgendwer muss hier ja mal nach dem Rechten sehen.«
    Herr Grasleitner lacht von seinem Schreibtisch aus zu uns herüber. Er denkt, dass die Murr sich ganz gut gemacht hat, dass sie den Kopf bei weitem nicht mehr so weit oben trägt wie früher, dass man jetzt wirklich was mit ihr anfangen könnte. Die bösartige Freude, die es mir für gewöhnlich bereitet, wenn ich ihre Redensarten nachahme und sie es nicht bemerken und tatsächlich glauben, ich sei eine von ihnen, bleibt diesmal aus. Es ist kein Spiel. Es ist Johanna, auch wenn sie kaum wiederzuerkennen ist. Sie triumphiert nicht mit mir über Burli mit dem Weiberarsch, sondern fragt, was ich denn brauche, und sagt dann, dass dafür der Herr Grasleitner zuständig sei, und beugt sich über eine Schublade, in der sie auf einer Leiste Pappdossiers hin und her schiebt. Herr Grasleitner beugt sich über seinen Schreibtisch.
    »Mali«, sagt er, »das ist doch ziemlich mittig da in Afrika.«
    »Ja, genau da in Afrika!«, rufe ich etwas zu freudig.
    »Wo Sie’s überall hinverschlägt, Frau Murr!«, sagt der Grasleitner.
    »Ja, schon erstaunlich, nicht?«
    Und auf dieses »nicht« am Ende reagiert der Grasleitner allergisch, es setzt ihn auf die Spur. Das sagtman nicht bei uns, so ein »nicht« am Ende, denkt er, doch das ist nur ein Nebengedanke zum Hauptgedanken. Die Murr ist noch genauso hinterfotzig wie früher, denkt er. Dass sie ihn verarscht, spürt er. Auf einmal wird er ganz sachlich und sagt: »Ich schick Ihnen dann die Auslandskrankenscheine zu.«
    Ich drehe mich

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