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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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Unterricht das Schweigen nach einer Frage zu brechen, in ihrem Geblubber unbemerkt untertauchen könnten. Wir hatten die besten Zeugnisse, sie die Erfahrungen – das war die Sachlage, und es wäre nur gerecht, dachte ich, wenn wir nun einmal schweigen könnten und sie zum Zuge kämen. Johanna erging es vermutlich genauso, doch sie sprach nicht darüber, sondern schüttelte nur den Kopf und sagte: »O Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.«
    Seltsamerweise gerieten die Tage der Aufklärung dann zu einer Art Triumphzug für Johanna. Ein junger, gutaussehender Polizist, Beauftragter für Suchtund Drogenprävention des Polizeipräsidiums, sollte unser Vertrauen gewinnen. Leider waren wir zu gleichgültig, um ein Vertrauen zu haben, das er hätte gewinnen können. Wir schauten auf unsere Tischplatten, kritzelten auf unsere Blöcke, zerkleinerten unter den Bänken Brezeln und Semmeln und stopften sie uns in kleinen Happen zuerst nur verstohlen, dann immer offensichtlicher in den Mund. Nur Unerfahrene, wusste der Polizist, vermuten im Gesicht der Jugend Rebellion, Übermut oder Schüchternheit, jedenfalls etwas, das man in erwachsenen Gesichtern kaum mehr findet. Was für ein Irrtum! Er hatte siealle gesehen, Hunderte solcher Jugendgesichter, Schulklassen, gemischt oder Jungen und Mädchen getrennt, er stand vor ihnen und hatte ihnen auf Folien zuerst Statistiken vorgelegt, ein trockener Einstieg, der an Fahrt gewinnen würde. Am Ende, wenn er Fotos zeigte, würde sich auf den Gesichtern der Jugend eine kurze Aufmerksamkeitsspanne abzeichnen, doch das waren nur Minuten, eine Ausnahme, in der Regel zeigten die Gesichter der Jugend Variationen von Müdigkeit, nicht zu verwechseln mit charaktervoller Lebensmüdigkeit, nein, es war eine oberflächliche Müdigkeit auf den Gesichtern der Jugend, eine sich über Tage hinstreckende Unausgeschlafenheit. Doch da, in der ersten Reihe außen rechts, saß ein Mädchen stocksteif, ein aufgeschlagenes Heft vor sich, an den Rand das Datum geschrieben, den Füllfederhalter in der Hand, und blickte ihn an. Blond und ungeschminkt, Typ Alte Jungfer. Er dachte an die Gespräche mit seinen Kollegen, an die ausgeklügelte Typologie jugendlicher Nervensägen, mit der sie sich in Tagungs- und Konferenzpausen auf ihren Humor besannen, er hörte schon das anerkennende Gelächter, wenn er ihnen demnächst von dieser Alten Jungfer und ihrem Grabsteinblick berichten würde. Er war inzwischen bei der Verharmlosung von Cannabis angekommen, gleich kämen die Fotos an die Reihe, doch zunächst musste noch deutlich gemacht werden, dass Cannabis die EinstiegsdrogeNummer eins war, und eine eindrucksvolle Schilderung der Langzeitschäden würde dann zum Bild der Raucherlunge überleiten. Die Alte Jungfer schaute und schaute und schrieb und schrieb und legte dann den Füllfederhalter beiseite, und als sie sich schließlich meldete, was zu erwarten gewesen war, stellte er fest, dass sie ihre Fragen und Anmerkungen zwar durchaus spröde ohne jeden Anflug von Charme hervorbrachte, dass sie sich dessen aber vollkommen bewusst zu sein schien. Sie war überhaupt nicht verlegen. Verlegenheit und Unsicherheit – die liebenswürdigen Beigaben ihres Typus – fehlten ihr völlig, nicht einmal vor seiner Geheimwaffe, einem Spitzbubenlächeln, senkte sie die Lider. Später würde er zu seinen Kollegen sagen, das war echt eine ganz harte Nuss, mit der war nicht zu spaßen. Doch auch die durchaus aufbauende Vorstellung, dass er später mit seinen Kollegen zusammen über diese untypische Alte Jungfer lachen würde, konnte nicht verhindern, dass sein Vortrag ins Stocken geriet. Der junge Polizist der Sucht- und Drogenpräventionsabteilung wurde nervös, die sensiblen Antennen der Jugend empfingen Signale, sie hoben die Köpfe, streckten die Rücken, die Müdigkeit in ihren Gesichtern verflüchtigte sich, sie waren ganz Ohr, wenn jemand ins Straucheln geriet.
    Johanna hatte dem Polizisten aufmerksam zugehört. Als er Abbildungen von Raucherlungen undgleich darauf Fotos von Bahnhofsjunkies zeigte, dabei von Beschaffungskriminalität, Prostitution und Teufelskreisen sprach, zog Johanna die Augenbrauen zusammen, doch sie wartete mit ihrer Wortmeldung bis zum Ende des Vortrags. Ob die Menschen auf den Fotos denn wüssten, dass sie in Schulen als Anschauungsmaterial verwendet würden, fragte Johanna. Der Polizist räusperte sich und antwortete dann etwas zu laut und zu munter: »Nun ja, die werden dazu nicht mehr viel sagen

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