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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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Lebensmittelverpackungen vorlas, das Angenehmste, was ich mir vorstellen konnte. Doch mein zerschlagenes Gesicht und die zwei Bündel Lira, die ich wieder und wieder in Übernachtungen und Essen umzurechnen versuchte, änderten etwas.
    In Villa San Giovanni wurde der Zug auf die Fähre verladen. Ich folgte den anderen Passagieren hoch aufs Deck und sah nun das Meer, von dem ich geglaubt hatte, sein Anblick würde mich überwältigen. Ich drückte mir die Relingstangen in den Bauch, um ihm so nah wie möglich zu kommen. Dieses Meer war grau, abgestanden und tot. Wellen gab es nicht, nur gleichmäßig hin und her schwappendes Wasser, in das die Fähre einen armseligen Strudel furchte. Ich schloss die Augen. Eine Frau, eine Reiseleiterin vermutlich, redete vom Scirocco. Manchmal schaffe es der Wind aus der Sahara sogar bis über die Alpen. Bei Föhneinbrüchen im Winter komme es sogar vor, dass goldener Saharasand auf der Schneedecke liege. Im Hafen von Messina verteilten sich die Passagiere der Fähre auf die verschiedenen Hotelbusse, nach und nach leerte sich der Platz, übrig blieben ein Häufchen Backpacker, ein kultiviertes älteres Ehepaar, das sich abschätzig über die Hotelurlauber äußerte, daneben Frank und eine große schwarze Frau, deren Stimme ich wiedererkannte. Es war die Stimme der Reiseleiterin, die offensichtlich doch keine Reiseleiterin war. Sie hielt einen kleinen Jungen auf dem Arm, die freie Hand hatte sie auf Franks Unterarm gelegt. Er wandte sich an mich.
    »Wir kennen uns doch irgendwoher?«
    »Letztes Semester, Ethnologie, Übung ›Field-Studies‹.«
    »Ja genau, ich erinnere mich!«
    Er freute sich, wie man sich freut, wenn man lange in der Hitze durch eine fremde Stadt gelaufen ist und endlich auf einem Straßenschild einen Namen liest, den man auch auf der Karte ausmachen kann. Es hatte nichts mit mir zu tun. Das Taxi, das sie bestellt hatten, fuhr vor, ich solle doch mit einsteigen, vom Zentrum sei alles schnell zu erreichen. Ich stieg zu Zorah auf die Rückbank, Frank saß auf dem Beifahrersitz. Der Junge war eingeschlafen, er hatte den Kopf auf der Schulter seiner Mutter abgelegt, ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Oberarm. Ein peinliches Schweigen entstand um diesen Atem. Ich mochte peinliches Schweigen, ich war trainiert, ich konnte es ewig aushalten, schweigen und abwarten, was ihnen denn so einfallen würde, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen. Ich betrachtete Zorahs langen, schlanken Oberarm, die schmalen Handgelenke und die dazu passenden Hände, den ausgefransten Übergang vom Rosa ihrer Handinnenfläche zum tiefen Braun ihrer Außenfläche, die sorgfältig manikürten Nägel. Sie fing an, über die Probleme der Insel zu dozieren, die Abwanderung der Jugend, die Arbeitslosigkeit, die Mafia natürlich. Elegant reihte sie umständliche Sätze und Versatzstücke aus kritischen Reportagen, die sie zur Vorbereitung ihres Sommerurlaubs studiert hatte, aneinander. Es entstand ein differenziertes Bild von Vergangenheitund Gegenwart, von Vermischung und Separation, von Abendstimmungen und pittoreskem Niedergang, dem weder ich noch Frank Aufmerksamkeit schenkten. Frank hatte sich zu uns umgedreht. Er beachtete Zorah, die noch immer redete, nicht, sondern fixierte mich mit Blicken wie Klemmzwingen und wandte sich, während sie von der stabilisierenden Wirkung der Mafia sprach, direkt an mich. Dass es klug sei, sich gar nicht erst in Messina aufzuhalten, sagte er, auch sie würden nur ein paar Tage bleiben, die Dörfer im Landesinneren müsse man besuchen und Palermo, ja, wenn auch nicht Palermo direkt, aber die Umgebung, etwas vom Meer haben. Zorah hatte irgendwann aufgehört zu sprechen und schaute nun sichtlich verletzt zu Frank, der sie weiter ignorierte. Endlich hielt das Taxi. Zorah stieg sofort aus.
    »Ich bring den Kleinen schon mal hoch, zahl du!« In der Eingangstür der Pension wandte sie sich noch mal um und wünschte mir tapfer eine gute Weiterreise.
    Frank ließ sich Zeit mit dem Zahlen. Als das Taxi verschwunden war, hob er meinen Rucksack hoch und setzte ihn mir auf die Schultern.
    »Komm am 19. nach Castellammare del Golfo. Wir treffen uns abends zu Beginn der Prozession vor der Kirche«, flüsterte er mir von hinten ins Ohr, während ich die Riemen meines Rucksacks festzurrte.Er gestaltete die Szene so melodramatisch, dass ich unweigerlich lächeln musste, was ihn nur noch mehr befeuerte. Er trat vor mich, umfasste meine Handgelenke und drehte sie so, dass

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