Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Fresse poliert wurde. Das war mein Körper: viele selbständig operierende Einheiten, von denen sich keine für die andere zuständig fühlte, kein einziger Reflex funktionierte richtig. Das war ich. Wahrscheinlich provozierte ihn mein Gesicht noch zusätzlich. Es befremdet mich sehr, dieses Gesicht, die Fäuste hatte ich liebgewonnen, doch mit diesem Gesicht hatte ich nie etwas anfangen können. Es ist ein sanftes, ernstes Gesicht, mein Gesicht. Ein Lachen zerreißt es, verwandelt es so vollkommen, dass ich mich lachend auf Fotos oft nicht wiedererkenne. Der Mann aus Rom, der Mann in der offenen Hotelzimmertür, der Mann, dessen Erektion auf halbmast hing und dessen Geliebte aus dem Hintergrund beschwörendeitalienische Formeln murmelte, dieser Mann zerstörte mein Gesicht nicht durch ein Lachen. Ich blickte mit diesem ernsten, rechtschaffenen Gesicht in sein zerklüftetes Gesicht, das wie schlecht gelagerte Möbel nach allen Seiten verzogen war, und ächzte. Ich wunderte mich über die schnurgeraden, schwarzen Körperhaare, die auch an seinem Hals nicht haltmachten, ich wunderte mich ernsthaft und hätte wohl die Hand ausgestreckt, um sie zu befühlen – wie kleine, schwarze Tiere, die zugleich ekeln und reizen –, doch er war schneller, sein Körper funktionierte, alle Teile arbeiteten anstandslos zusammen. Die rechte Faust hatte sich noch nicht zurückgezogen, da kam mir schon die linke entgegen. Ich hatte die beiden an drei Tagen in Folge gestört, das vierte Mal war zu viel. Vielleicht war es das, was er in mein Ohr keuchte. »Puttana, Puttana«, immer wieder. Auf Italienisch klingt alles schön. Ich stolperte rückwärts gegen die Wand des Flurs, ein Stockwerk tiefer die energischen Bewegungen des Zimmermädchens, das Rascheln von Mülltüten. Als mein Körper die Wand spürt, spürt, dass sie ihn stützt, gibt er sofort die Verantwortung ab, lässt sich fallen, die Beine geben nach, knicken ein. Umständlich sortiere ich meine Extremitäten, ich sitze im Hotelflur, ausruhen, Kräfte sammeln für den Weg zurück ins Zimmer, nur ein paar Sekunden. Ich schmecke Blut, doch meine Hände, die jetzt aufgefaltet in meinemSchoß liegen, machen keine Anstalten, sich zu erheben und das Gesicht, mein zerschlagenes Gesicht, zu befühlen. Ich versuche aufzustehen, drücke mich an der Wand hoch, beinahe gelingt es, doch dann legen sich zwei Hände auf meine Schultern, ich halte die Augen geschlossen und stelle mir vor, es wäre ein Vater, der mich liebt, ein Vater, mit dem ich vor einer Sehenswürdigkeit, einer Vitrine, einem beeindruckenden Panorama stehe. Er legt seine großen Hände auf meinen Schultern ab und erklärt mit einer Stimme, die zu seinen Händen passt, warum das alles so wichtig ist. Es ist ein warmes Gefühl. Ich achte nicht auf Gemälde, archäologische Funde und beeindruckende Panoramen, ich konzentriere mich auf das Gewicht seiner Hände. Dann drücken sie mich nach unten, mein Körper fügt sich bereitwillig. Wie immer. Ich sehe zwischen seinen gespreizten Beinen den dunklen Spalt der offenen Hotelzimmertür. »Ich will aufstehen«, sage ich zu dieser offenstehenden Tür. Immer sage ich: »Ich will aufstehen«, und stehe nie auf. Seine Hand greift in mein Haar, fasst ein Büschel und zieht mich daran hoch. Ich knie. Ich öffne die Augen, die Aussicht auf den dunklen Türspalt ist nun verstellt. Ich weiß nicht sofort, was ich da sehe. »Puttana, Puttana«, flüstert er. Seine Stimme schmeichelt. Es ist die Tonlage, mit der man Tiere anlockt, um sie zu töten. Die Tiere hören nicht, wie dünn diese Stimme ist, sie hören das Keuchen darunternicht. Doch ich höre es, und dennoch nützt es mir nichts, ich bin genauso verloren wie die Tiere, die freundlichen, sanften Tiere, die über die Weide gelaufen kommen und ihren Kopf voll Zutrauen durch den Elektrozaun schieben. Seine Hand arbeitet mit dieser Stimme zusammen, man könnte meinen, es sei zärtlich, wie sie sich hinter meinen Kopf schiebt – die Zärtlichkeit einer Schlange –, bis sie zupackt, diese Hand, »Puttana, Puttana«, und mein Gesicht gegen den wieder hoch aufgerichteten Schwanz drückt. Ich bekomme keine Luft, der muffige Geruch seiner Schamhaare lässt mich würgen, sein Glied drängt gegen meinen Mund, ich presse die Lippen zusammen, versuche meinen Kopf aus seinem Griff zu befreien. »Als die heilige Agnes sich dem Stadtpräfekten verwehrte, wurde sie vor Gericht geschleppt. Sie hielt allen Drohungen des Richters stand. Jesus Christus
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