Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
war es bei ihm ohne Bedeutung. Er stellte sich hinter Frau Luger, die ihn zuerst gar nicht bemerkte. Er strich mit seiner Hand den Stoff über Frau Lugers Arsch glatt. Sie erschrak, lachte aber sofort wieder und lehnte sich zurück, bog sich dabei wie eine Reitgerte und berührte mit ihrem Hinterkopf seine Schulter. Dass diese Stellungfür Frau Luger nicht sonderlich bequem sein konnte, war augenscheinlich, doch sie lachte.
Ihr Lachen erschütterte mich mehr als die gleichmäßig auf und ab streichende Hand des Vorwerkvertreters, unter der Frau Lugers Arsch anzuschwellen, ja in die sie regelrecht hineinzuwachsen schien. Seine andere Hand tastete zuerst den Bereich zwischen ihren Beinen ab, schließlich fand auch sie ihren ganz eigenen Rhythmus, indem sie sich über Frau Lugers Bauch hoch zu ihren Brüsten und wieder zurück bewegte. Die primitive Mechanik ihrer Bewegungen absorbierte mich, sie griffen ineinander wie Teile eines großen Webstuhls. Ich vergaß darüber Johanna. Sie war zum Pinkeln hinter ein Gebüsch verschwunden. Ich dachte erst wieder an sie, als sie bereits neben mir stand, meinen Arm packte und eindringlich flüsterte: »Komm! Lass uns gehen, ich will nicht, dass sie uns sehen.«
Ihr Gesicht wirkte sehr nackt. Von all den verstiegenen Gedanken und Theorien, die sie in ihrem Kopf hin und her bewegte, war in diesem Moment nichts zu sehen. Da war einfach nur ein ganz banaler Schmerz in ihrem Gesicht. Ich legte ihr den Arm um die Schultern, doch sie hatte sich schnell wieder gefangen und schüttelte ihn energisch ab.
»Lass das!«, zischte sie. »Ist ja nun nicht wirklich überraschend, oder?«
Johanna verschanzte sich hinter einer Kränkung,mit der sie besser zurechtkam als mit dem Schmerz. Ich lief neben ihr her, wusste nicht, was ich sagen sollte, wusste nicht, wohin schauen, wie mich verhalten. Ich fühlte mich ohnmächtig. Es waren nicht Scham oder Unbeholfenheit, die Johanna daran hinderten, sich von mir trösten zu lassen. Es war ihr verquerer Stolz, das Beharren auf der Exklusivität ihrer Verletzungen. Es widerte mich an. Johanna beschleunigte ihren Schritt, ich blieb hinter ihr zurück. Es ärgerte mich, dass ich jetzt auch noch hinter ihr herlief, dass sie sich noch nicht einmal umdrehte, um sich zu vergewissern, ob ich noch da war. Ich blieb stehen und schaute mich, unschlüssig darüber, was jetzt zu tun sei, erst einmal um. Die Menschenmaschine war zerfallen, der Vorwerkvertreter in sein Auto gestiegen.
Auf der anderen Straßenseite stand Karl Rieders Zündapp. Ich erkannte sie sofort, ein altes Modell, ein Sammlerstück, Karl Rieder hatte uns in diesem Sommer auf dem Weg zum Campingplatzkiosk oft genug damit überholt. Er kniete hinter der Maschine und nestelte am Motor herum. Unsere Blicke trafen sich. Er legte es darauf an, jedenfalls wandte er den Blick nicht ab, fixierte mich so lange, bis ich begriffen hatte, dass auch er alles gesehen hatte, dass er ein Mitwisser war. Dann hielt ich seinem Blick, der darüber hinaus nichts zu sagen oder zu wollen schien, nicht mehr stand. Frau Luger hatte sich endlich entschieden, nach Hause zu gehen, ihre Absätze klappertenüber das Pflaster. Ich musste laufen, um nicht von ihr eingeholt zu werden. An der Abzweigung einer Seitenstraße wartete Johanna auf mich.
»Wo bleibst du denn so lang?«
Ich lief wieder neben ihr her, auf Umwegen erreichten wir das Gartenhaus.
12.
Im unterforderten Gedächtnis der Hinterlandfrauen erreichen die Vorwerkvertreter Unsterblichkeit. Ihre anzüglichen Sprüche treiben ihnen noch nach Jahren die Röte ins Gesicht. Sie tragen sie zusammen, bewahren und tradieren sie. Die Vorwerkvertreter danken es ihnen nicht. Wenn sie sich auf Autobahnraststätten, an Verkehrsknotenpunkten treffen und um zusammengeschobene Tische sitzen, lachen sie über die Hinterlandfrauen, die ihnen mit hochrotem Kopf Selbstgebackenes anbieten. Die Vorwerkvertreter haben ihre Krawatten gelockert und ihre Karstadt-Nadelstreifen-Westen aufgeknöpft. Sie trinken Kaffee mit Kaffeesahne aus kleinen, klokachelfarbenen Konferenzkaffeetassen, sie holen sich ständig Nachschub, sie rauchen Kette. Einer hat sein Bein auf der Kante eines leeren Stuhls abgestützt und auf das angewinkelte Knie nun seinen Ellbogen gesetzt, die eine Hälfte seines Gesichts liegt in der flachen Hand. Einanderer fährt sich mit der Zigarettenhand alle paar Minuten durch das gegelte Haar, ein paar Sekunden stehen die Strähnen vital wie am Morgen, dann fallen sie wieder
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