Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
in sich zusammen. Die Vorwerkvertreter sind am Arsch. Sie kommen aus Ländern im Kriegszustand. Wenn sie ihre Nachnamen auf Papier schreiben, kann sie im neuen Land niemand richtig aussprechen. Sie haben sich neue Namen für das neue Land überlegt. Wenn die Hinterlandfrauen sie mit diesen Namen ansprechen, brauchen sie immer eine gewisse Zeit, ehe sie sich angesprochen fühlen. Ihr Leben ist voller Missverständnisse, von denen sie die meisten gar nicht oder erst zu spät bemerken. Hinten in ihren Firmenwagen hängen auf Kleiderbügeln die Hemden, die sie auf ihren Reisen über Autobahnen und Bundesstraßen tragen werden. Sie werden von ihren Kundinnen in Augenschein genommen, sie dürfen nicht zerknittern. Im Sommer haben sie das Bedürfnis, die Fenster herunterzulassen, den Fahrtwind zu spüren und im Rückspiegel das Flattern ihrer Hemden zu betrachten. Die Haken der Kleiderbügel drohen sich aus der Halterung zu lösen, die Hemden davonzufliegen. Doch dazu kommt es nicht. Sie lassen die Fenster nicht herunter. Sie haben Klimaanlage. Sie fahren sich mit der flachen Hand übers Gesicht und wundern sich. Es muss die Übermüdung sein, sagen sie sich, die langen schweigsamen Fahrten und die hysterischen Stimmen der Radiomoderatoren,die sie in solche Fluchten treiben. Sie ruhen sich aus, bleiben eine zweite Nacht in der Pension im Ort ihrer letzten Kundin. An ihrem freien Tag verschlafen sie das Frühstück, sie verlassen ihr Zimmer nicht, ignorieren das Klopfen der Wirtin, die saubermachen will, bleiben im Bett liegen, schlafen und spinnen, wenn sie aufwachen, die Bilder aus ihren Träumen weiter, bis sie wieder wegdösen. Es sind zurechtgemachte, sentimentale Bilder. Sogar die Frauen aus dem zerfetzten Pornoheft, das sie als Elfjährige mit ihren Brüdern auf einem der vielen Müllhaufen, die die Häuser ihrer Heimat umgeben, gefunden haben, werden in diesen Wachtraumbildern zu sepiaüberzogenen Heiligen, die schützend ihre Hand über sie halten. Wenn sie sich dann einen runterholen, tun sie das mit dem schlechten Gewissen von Elfjährigen. Auch das ein Relikt, eine Sentimentalität, die sie sich gönnen, um am nächsten Tag in düsteren Stuben ihre Kundinnen davon überzeugen zu können, dass mit dem Erwerb des eben vorgeführten Staubsaugeraufsatzes etwas besser würde, oder um in ihnen, und das war die schwierigere Aufgabe, überhaupt erst den Wunsch nach einer Verbesserung zu wecken.
Der Vorwerkvertreter, den Frau Luger liebte, hatte Ländergrenzen überquert. Er machte Abstecher nach Österreich, in die Schweiz, nach Tschechien, ja sogar nach Italien.
Frau Luger, die überall nach Zeichen eines anderenLebens suchte, bemerkte die fremdartigen leeren Lebensmittelverpackungen auf dem Rücksitz seines Autos sofort: kleine bauchige Fläschchen, so hübsch, es hätten Vasen sein können – Bier aus Italien, daneben ein Wirrwarr aus smaragdgrünem Einwickelpapier – Schokolade aus Tschechien. Sie schwärmte, ließ sich aber nichts anmerken, half ihm, die Koffer, in denen die Vorführgeräte verstaut waren, ins Haus zu tragen. Drinnen sprach er sofort leiser. Sie freute sich darüber. Auch sie war in diesem Haus leiser und leiser geworden, hatte ihre Stimme seiner Stille angepasst.
Johanna hasste das Flüstern ihrer Mutter, der Vorwerkvertreter verstand es. Er beugte sich vor, um sie besser zu verstehen. Die Stille hatte jetzt, da sie sie mit jemandem teilte, etwas Konspiratives. Sie flüsterte, sie habe seit Jahren einen Mielestaubsauger, und jedes Mal, wenn sie sauge, hoffe sie, dass er endlich den Geist aufgebe. Denn eigentlich hätte sie auch lieber einen Vorwerkstaubsauger, die seien ja um vieles leichter und wendiger als dieser alte Kasten, doch er sei einfach unzerstörbar. Der Vorwerkvertreter schob seinen Kopf noch weiter vor, berührte mit seinen Lippen beinahe ihr Ohr und flüsterte mit einer Ernsthaftigkeit, die Frau Luger irritierte: »Ich kann ihn kaputtmachen.«
Die Alten auf den Bänken waren sich einig: Frau Luger hatte zu wenig zu tun. Mit nur einem Kind,und selbst das habe ja nicht einmal mehr richtig daheim gewohnt – sie werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Johanna ja im Gartenhaus gewohnt habe –, habe sie einfach zu viel Zeit, um auf dumme Gedanken zu kommen. Mit den »dummen Gedanken« meinten sie nicht Frau Lugers Tagträumereien, in denen italienische Cafébars, Altstädte, Koffer, steinerne Brücken und Gin Tonics eine tragende Rolle spielten. Die immer gleichen »dummen
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