Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Gedanken«, von denen die Alten auf den Bänken zu allen Zeiten schon gesprochen hatten, meinten einfach, dass Frau Luger manche Nächte mit einem Mann verbrachte, der nicht Herr Luger war.
Die Alten auf den Bänken, die sich tagaus, tagein mit dem Scheitern anderer Leute Leben beschäftigen, setzen in ihren Analysen oft die falschen Akzente. Sie versteifen sich auf die zusammen verbrachten Nächte. Sie sind weit davon entfernt zu verstehen, wie unwichtig diese Nächte eigentlich sind. Worauf es ankommt, sind italienische Cafébars und aufgerüschte, tschechische Schokolade. Auch beim Vorwerkvertreter liegen sie falsch. Sie zollen ihm konspirativ-männlichen Respekt: »Der hat schon den richtigen Beruf gewählt«, sagen sie. Und obwohl sie schon so alt sind, dass man sie gar nicht mehr mit Sex in Verbindung bringt, lachen sie dreckig. Sie begreifen nicht, dass der Vorwerkvertreter sich, wenn es ihm darum ginge, auch einfach eine Frau kaufenkönnte und es auch würde. Doch es geht ihm nicht darum. Die Alten auf den Bänken ahnen nicht, dass es sich fast wie Freiheit anfühlt, wenn Frau Luger einen für frei hält.
13.
Ich hatte Johanna angeboten, übergangsweise bei uns zu wohnen.
»Bis sich alles geklärt hat«, fügte ich fachmännisch hinzu.
Ich war davon ausgegangen, dass jener Morgen vor der Pension Malinowski weiterreichende Veränderungen bei den Lugers nach sich ziehen würde.
»Wegen ihr? Wegen letztens vor der Pension?«, fragte Johanna gereizt. »Das war ja jetzt nicht wirklich überraschend, oder?« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und schaute mich prüfend an.
Ich wich ihrem Blick aus. Frau Luger hatte versagt. Auch ich würde Johanna enttäuschen. Diese Enttäuschung war vorgesehen, und wenn es so weit war, das wusste ich, würde sie mich, ohne zu zögern, hinter sich lassen. Auf dem Nachhauseweg sah ich alles ganz klar, ich wusste auf einmal, dass wir nicht immer befreundet sein würden, und obwohl mich dieser Gedanke traurig machte, erleichterte mich seine Gewissheit. Zum ersten Mal seit Monaten schliefich zu Hause, beruhigt, in meinem eigenen Bett. Am nächsten Tag kehrte ich ins Gartenhaus zurück. Johanna war nichts mehr anzumerken. Sie lag auf ihrer Matratze und las in Das Leben der Heiligen . Frau Luger schwebte unverändert ihre gewohnten Wege auf und ab. Und auch Herr Luger war anwesend – was in diesem Sommer selten war, denn er fuhr jetzt oft für eine Spedition – und folgte der Choreographie, mit deren Hilfe er und seine Frau die gemeinsamen Nachmittage bewältigten.
Nachmittags gegen drei öffnete sich die Haustür. Herr Luger stand in tiefhängenden Jeans, einem verwaschenen T-Shirt und Lederslippern im Türrahmen. Er hielt ein Glas mit dunkelschäumender Flüssigkeit in der Hand, ich vermutete, es war Cola. Es wirkte irgendwie zufällig, wie er da stand, so als sei er gerade erst aufgestanden und wolle nur eben die Zeitung zum Frühstück holen, um sich dann doch noch etwas länger von der unverhofften Morgensonne anscheinen zu lassen. Doch es war nie Morgen, sondern immer schon Nachmittag, wenn Herr Luger in den Türrahmen trat, und er stand auch da, wenn die Sonne nicht schien. Sein Blick schweifte über sein Anwesen, als gäbe es dort etwas zu entdecken, was er in den fünfundvierzig Jahren, die er hier schon lebte, noch nicht entdeckt hatte. Nach einigen Minuten schlenderte er dann, das Glas, aus dem er nie trank, noch immer in der Hand, in den Garten. Dem Anscheinnach auch das ganz zufällig. Er schloss die Tür nicht hinter sich, sie stand weit offen, so als würde er tatsächlich nur schnell etwas nachschauen und dann zurück ins Haus gehen, wo Frau Luger ganz sicher nicht auf ihn wartete. Er schlenderte vorbei am Gartenhaus, nickte uns durch die offenen Fenster zu und sagte etwas wie: »Na, Mädchen?« Doch noch ehe wir etwas entgegnen konnten, war er schon weiter hinter das Haus gegangen. Herrn Lugers Routinegänge hatten sich durch das Dickicht aus Sträuchern, Stauden und Hecken Pfade gebahnt. Außer ihm verirrte sich niemand hierher.
Er hatte diesen Teil des Gartens zu seinem Reich gemacht. Dornen und Stacheln konnten ihm nichts anhaben, er schlenderte weiter, barfuß in seinen Lederslippern, das Glas in der Hand, bis er den unwegsamsten Ort im ganzen Garten erreicht hatte: eine Gruppe eng beieinanderstehender Ahornstauden, deren Äste sich im Kampf ums Licht ineinander verkeilt hatten. Hier mochten kleine Tiere anderen kleinen Tieren auflauern, es war ein
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