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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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Bänken war. Auf den Beistelltischen zwischen ihnen standen Bierflaschen, Whiskeygläser und Aschenbecher. Die Männer verstanden sich wortlos, hin und wieder versuchten sie sich an einem Gespräch, doch schon nach wenigen hin und her geschobenen Halbsätzen übermannte sie die postkoitale Trägheit, und das Gespräch versandete. Sie lehnten sich in ihren Sesseln zurück, zündeten sich eine Zigarette an, tranken einen Schluck und strichen sich über ihre Bäuche, wobei sie vor Wohlbehagen grunzten. In regelmäßigen Abständen trat die Malinowski in einem rot-rosa Kimono aus dem Blüten- und Rankendickicht. Sie stand zwischen den zierlichen Tischchen wie ein exotischer Vogel – zum Fliegen zu schwer, aber schön anzusehen. Mit langsamen, minimalen Bewegungenentfernte sie leere Flaschen und Gläser. »Ach Gertrud, willst dich nicht zu uns setzen, schau, auf meinem Schoß wär noch ein Plätzchen frei«, lockten dann die Hinterlandmänner und patschten sich mit der flachen Hand auf die Schenkel. Frau Malinowski war taub gegen solche Anzüglichkeiten. Sie würdigte ihre Gäste keines Blickes, sondern verschwand, Flaschen und Gläser balancierend, wieder im Dickicht ihres Dschungels. »Jetzt hat sie mich schon wieder abblitzen lassen«, klagte dann der ignorierte Hinterlandmann mit gespielter Kränkung in der Stimme, die anderen schnaubten. »Ja, so ist sie, die Gertrud, da kann man nur verlieren!«
    Als wir eintraten, hatten sie sich kurz zu uns umgedreht. Karl Rieder hob die Hand, sie nickten ihm zu, dann ignorierten sie uns. In den künstlichen Tropen der Malinwoski entzogen sie sich dem Zugriff der Alten auf den Bänken, sie legten mit ihren Alltagskleidern auch die Scham ab, und was dann zum Vorschein kam – gelangweilt zupften sie an ihrer Vorhaut herum, während sie mit der anderen Hand in der Glasschüssel die Erdnüsse durchwühlten –, war auch nicht trostloser als ihre Arbeitstage oder die in Schweigen gehüllten sonntäglichen Familienausflüge. Karl Rieder nahm sich ein Bier von der Anrichte. Ich setzte mich auf den Boden, lehnte mich gegen die Wand.
    Einer der Wirte hievte sich aus dem Sessel, schafftees nicht auf Anhieb und ließ sich wieder zurückfallen.
    »Ich geh noch mal rauf«, verkündete er, die anderen lachten.
    »Übernimm dich nicht«, stichelten sie.
    Da huschte am Fenster eine Gestalt vorbei.
    »Bleib hier!«, riefen die Sitzenden dem Wirt zu, »unser Glücksbote ist gekommen!«
    Er schlüpfte durch den Spalt der Schiebetür, ich hatte ihn sofort erkannt: Es war der Brahmane.
    Wir hatten uns vorgestellt er lebe wie die Waldtiere in einer Art Unterholz, in einem Zwischenraum, der existieren musste, von dem gesprochen wurde, beiläufig, wie von anderen Räumen auch, und doch hatte uns nie jemand dieses Unterholz zeigen oder erklären können. Wir hatten uns damit begnügt, an diese Orte zu glauben, was nicht schwer war, denn sie waren ja notwendig. Es musste sie geben, weil die, die immer erschienen und, kaum hatte man sie erblickt, wieder verschwanden, doch auch irgendwo verweilen mussten.
    Der Brahmane stand im Zentrum eines Stuhlkreises, potente Hinterlandmänner prosteten ihm zu, Trinksprüche in Mundart, sie klopften ihm auf den Rücken. Der Brahmane lächelte. Er musste sehr heilig sein, um jetzt lächeln zu können. »Seht ihr denn nicht, wer er ist?«, wollte ich schreien, doch die Malinowski kam mir zuvor, sie führte den Brahmanenab. Er folgte ihr bereitwillig. Sie würde ihm die Füße waschen, im Hinterzimmer. Er würde ausruhen in diesem Unterholz für Heilige. Die Männer grölten: »Ja, ihn will sie, die Gertrud, meinetwegen, nimm ihn halt mit, wir nehmen ihn dir schon nicht weg, uns reichen seine kleinen Tütchen!« Wie jeder, der einem Heiligen begegnet und ihn erkennt, glaubte auch ich, dass er mich im Vorübergehen angelächelt hatte.

15.
    Die Malinowski war lange nach dem Krieg gekommen, nach der sehr schlechten Zeit, in der man es aber immer noch besser getroffen hatte als die meisten anderen. Denn die amerikanischen Soldaten, die waren nett, und Kinder mochten sie gern, denen haben sie immer Schokolade und Guttis geschenkt, erinnern sich die Alten auf den Bänken vor der Kirche. Sie erinnern sich an Guttis, Bananen, Schokolade und Neger, wenn einer von ihnen stirbt. Sie erinnern sich genau so lange, bis ein jüngerer Alter nach nicht allzu langem, pietätvollem Werben den frei gewordenen Platz eingenommen hat. Dann wenden sie sich wieder der Gegenwart und ihren

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