Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Doppel- und Einzelzimmer belegt« angezeigt wurde. Auch der Parkplatz neben ihrem Haus war meist ausgelastet – man konnte also die Faulheit, das Schild zu wechseln, die man Gertrud Malinowski zweifellos zutraute, ausschließen. Und trotzdem schien das Florieren der schlecht platzierten Pension niemanden zu erstaunen. Die Alten disputierten nicht einmal darüber. Einer bemerkte nur: »Liederliche Leute gehen zu liederlichen Leuten.« Er sagte es vor sich her, ein in der Gemeinschaft der Alten nur wenig beachteter Alter sagte es jedoch nicht, um gehört zu werden, während Karl Rieder, der neben ihm ganz auf den Rand der Bank gequetscht saß, noch immer so tat, als würde er mit zusammengekniffenen Augen die Todesanzeigen im Glaskasten gegenüber lesen.
16.
Sie stand am Treppenaufgang, steif und unsicher auf ihren Absatzschuhen im Schnee, ein schwarzes Spitzentuch um Kopf und Hals geschlungen, die Hände rot, keine Handschuhe, die abgesetzten Reißverschlüsseauf ihrer Lederjacke blinkten, die Plastiktüte zerrte an ihrem Handgelenk. Die weite, schwarz glänzende Hose hing in den Schnee. Es war eine etwas altmodische, elegante Hose, nichts für Mädchen in unserem Alter, sie musste sie von ihrer Mutter haben. Sie fror, presste die Beine zusammen und die Arme an den Oberkörper, zog den Kopf ein, sah mich nicht kommen, erschrak deshalb, machte aber gleich wieder ein tapferes Na-dann-bringen-wir’s-halt-hinter-uns-Gesicht. Ich hatte mir das Haar Strähne für Strähne hochgesteckt, es stand wie Parkgebüsch um mein Gesicht, das darunter ganz klein aussah. Noch auf dem Weg zu Johanna, unter einer Straßenlaterne stehend, mit Klappspiegel in der kalten Hand, hatte ich mir die Lippen geschminkt. Ich war entschlossen. Johanna wollte alles richtig machen. Sie schaute aufmerksam zu, als ich mir im Zug die Lippen nachzog.
»Darf ich auch mal?«, fragte sie vorsichtig.
Ich malte ihr Rot ins aufgeräumte Gesicht, auf der kurzen Geraden zwischen Hankar und Gernstein zog ich ihr den Lidstrich. Sie betrachtete sich in den schmutzigen Zugfenstern. Die Äste der Bäume streiften die Waggons, Schneepolster zerstoben an den Fenstern. Sie zog den Kopf zurück und strich sich mit der flachen Hand den Scheitel glatt, schaute wieder ins Fenster, befand, dass zum angemalten Gesicht kein glattgestrichener Scheitel passte, und zogdas Haargummi ab. Dann holte sie eine Thermoskanne, einen Tetrapak Orangensaft und zwei Campingblechtassen aus ihrer Plastiktüte.
»Wir sind nicht auf Schulausflug, Johanna!«
»Ich weiß.« Sie goss durchsichtige Flüssigkeit aus der Thermoskanne in die Becher und schüttete Orangensaft dazu. »Wodka-O«, sagte sie stolz.
Luise musste sie instruiert haben. Nach den Sommerferien hatte Luise erneute Annäherungsversuche gestartet, die sie umso hartnäckiger vorantrieb, als sie bemerkte, dass ich und Johanna nicht mehr ganz so eng waren wie noch vor den Sommerferien. Auf den Schulkorridoren, wenn wir die Räume wechselten, kam Luise jetzt oft angelaufen. Wie ein begeisterter kleiner Hund sprang sie neben Johanna auf und ab und weihte sie in ihre Wochenendabenteuer ein. Johanna schickte sie nicht weg, zeigte sich aber auch nicht sonderlich zugewandt, was Luise nicht störte. Im Treibholz ihrer Bubenrealschulexzesse schwemmte einmal auch der Name des Brahmanen an, Johanna horchte auf, das konnte ich richtig sehen, von hinten konnte ich das sehen, sie straffte die Schultern und neigte den Kopf, sagte: »Aha.« Luise freute sich über den Zuspruch und reizte den Köder aus: Ja, der Kohls-Hans verkehre dort auch regelmäßig, sie habe ihn jedenfalls schon mehr als einmal dort gesehen, was er dort mache, könne man sich jagut vorstellen. Johanna konnte es sich nicht gut vorstellen, doch dann war der Physiksaal schon erreicht und außer uns niemand mehr auf dem Gang. Luise drückte sich an den anderen vorbei in die Klappsitzreihe und verwies mit einem Augenzwinkern auf eine Fortsetzung des Gesprächs.
Am nächsten Morgen stand Johanna wie früher wieder bei uns im Hausflur und wartete auf mich. Auf dem Weg zum Zug erzählte sie mir, was Luise über den Brahmanen gesagt hatte.
»Wir gehen da auch hin dieses Wochenende«, beschloss ich.
Johanna wehrte ab.
»Aber sie hat nur gesagt, dass sie ihn da schon einige Male gesehen hat, das muss ja nicht heißen, dass er da jedes Wochenende ist«, wandte sie ein.
Doch das machte mir nichts aus. Er war da gewesen, das reichte.
Ich sagte: »Ich würde auch so, einfach gern
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