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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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Vorbeischlendernden zu. Sie tun sich oft schwer damit, wissen nicht mehr, wer wem gehört oder wer wo hineingeheiratet hat. Die jüngeren Alten müssen sich jetzt mit ihrem Jüngerseinbewähren und die Informationslücken füllen. Doch bei Gertrud Malinowski versagten auch sie. Sie verfing sich in keines der Netze, die sie von den Bänken vor der Kirche aus warfen. Die Malinowski ging nicht in die Kirche, nicht einmal an Feiertagen, sondern fuhr nur mit ihrem silbernen Golf daran vorbei.
    Sie war in den sechziger Jahren gekommen, als man die schlechte Zeit schon fast vergessen hatte, so gut ging es damals mit den Fremden, den Kurgästen. Man hatte Gertrud Malinowski zunächst für einen Kurgast gehalten. Doch sie blieb, blieb über die üblichen sechs Sommerwochen, blieb noch, als im Oktober der erste Frost einbrach, blieb jetzt schon seit dreißig Jahren, ohne dass es die wechselnden Generationen der Alten über die äußeren, für jedermann einsehbaren Umstände der malinowskischen Existenz zu tieferen, persönlichen Informationen über sie gebracht hätten.
    Ein junges Ding sei sie gewesen, als sie herkam, alle Burschen hätten sich nach ihr umgedreht, eine ganz Saubere sei sie gewesen, das könne man sich ja gut vorstellen, aber dass sie was angefangen hätte mit einem, nein, davon wisse man nichts. Die habe auch schon als junges Ding – Wie alt mag sie wohl gewesen sein? Fünfundzwanzig, höchstens – jedenfalls habe sie auch schon als junges Ding ihren Kopf weit oben getragen. Gegrüßt habe sie jeden, da könneman nichts sagen, aber dass sie mal mit einem geredet hätte!
    Irgendwann war es einem der Banksitzer aufgefallen, dass die junge Polin nicht mehr vorbeikam. Erkundigungen wurden eingezogen: Sie hatte ihre Anstellung im Gästehaus Bader aufgegeben und sich selbständig gemacht. Sie führe nun ihre eigene Pension, äfften die Alten und setzten beim Sprechen »Pension« in Anführungszeichen und lächelten zahnlos. Sie versuchten sich in Andeutungen, doch schon die Anführungszeichen beim Sprechen waren eine Herausforderung. Sie waren einfache Leute, und wenngleich sie es einander nicht versichern konnten, so spürten sie doch, dass Andeutungen etwas für feine Leute waren, dass Zweideutigkeiten nichts im Hinterland zu suchen hatten. Hier nennt man die Dinge beim Namen, behaupteten sie stolz.
    Das Haus der Malinowski lag einige Meter jenseits des Ortsschilds, gehörte also strenggenommen gar nicht mehr dazu. Die Autos brausten mit hundertdreißig Stundenkilometern daran vorbei und wirbelten dabei Staub und Abgase an die schmale Fassade, die kein Heiliger schützte. Es stand direkt vor dem Versetzungsspalt der beiden Gebirgszüge, unterstand ihnen vollkommen, lag in ihrem ständigen Schatten. Im Frühling kam es vor, dass von den schmelzenden Schneemassen gelockerte Stein- und Gerölllawinen auf das Haus der Malinowski niedergingen.
    Die jungen Alten, die Alten und die sehr Alten, alle hatten sie das Haus schon zeitlebens gekannt. Es hatte immer leergestanden – und sie konnten sich nicht verkneifen, »Kein Wunder!« dazu zu sagen –, war aber von der Gemeinde instand gehalten worden. Ein Lagerhaus sei es gewesen. Und wenngleich auch nicht einsichtig war, was denn in einem solchen Haus gelagert werden musste, so erklärte es doch den ortsuntypischen Bau in die Höhe, die schmale Fassade, die nach hinten gezogene lange Form des Hauses. Auch der holzgeschnitzte Rundumbalkon, der den Häusern mit Panoramablick zu zusätzlicher Trostlosigkeit verhilft, fehlte an Frau Malinowskis Lagerhaus.
    Es wurde lange darüber spekuliert, ob sie denn nicht noch einen in Auftrag geben würde, denn immerhin vermiete sie ja. Doch die Verständigen erkannten sofort, dass das bei der Nähe des Hauses zum Berg nicht angebracht war, und so gab man sich denn auch so, wie es war, zufrieden. Dass sie dann aber auch nichts am Garten machen ließ, der ja doch das einzige für Fremde halbwegs Attraktive an Frau Malinowskis Pension sein musste, dass sie sich keine Frühstücksterrasse ebnen und kacheln ließ, dass sie noch nicht einmal Blumenbeete anlegte, sondern im Gegenteil den großen Garten verwachsen ließ, das konnte die Lage des Lagerhauses nicht mehr erklären, das musste, auch wenn man der jungen Polinnoch so wohlwollend gegenüberstand, Frau Malinowskis Liederlichkeit zugeschrieben werden.
    Umso erstaunlicher, hätten die Alten denken müssen, dass auf dem Schild an der schmalen Fassade sogar zwischen den Saisons »alle

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