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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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mal hier raus, richtig weggehen, tanzen.«
    Johanna sagte: »Ja, dann!«, und weiter nichts mehr.
    Wir gehörten jetzt wieder zusammen, wie früher, dachte ich.
    Sie füllte die Blechbecher immer wieder, uns wurde warm, ich sagte, dass wir, wenn wir so weitertränken, nicht dort ankämen. Sie hielt inne.
    »Ja, dumm«, sagte sie, »aber was sollen wir machen, wir dürfen die Kanne sicher nicht mit reinnehmen.«Sie leerte ihren Becher in einem Zug. »Zur Not können wir ja immer noch ein Taxi nehmen.« Sie holte einen Stadtplan heraus, auf dem alle Orte, die Luise erwähnt hatte, gekennzeichnet waren. Auf einem extra Zettel hatte sie die U-Bahn- und Busverbindungen und darunter die Telefonnummern von Polizei, Notruf und Feuerwehr notiert.
    »Wozu brauchen wir die Nummer der Feuerwehr?«, fragte ich.
    Sie wurde verlegen.
    »Keine Ahnung. Ich hab sie halt mal dazugeschrieben.«
    Ich musste lachen, und sie lachte mit. Der Wodka hatte ihr rote Flecken ins Gesicht gemacht, auch ihre Ohren waren rot, der Rest blass. Sie war anders als sonst, scheu und schüchtern, mir gefiel das. Ich legte ihr den Arm um die Schultern, sie schüttelte ihn nicht ab, beim Aussteigen torkelten wir, doch die Kälte und der Schnee auf dem Bahnsteig nüchterten uns wieder etwas aus.
    Sie haben da nicht auf uns gewartet. Nicht auf uns und unsere roten Backen, nicht auf unsere ramponierten Schienbeine und dicken Waden, nicht auf unser Den-Leuten-ins-Gesicht-schauen-wenn-man-mit-ihnen-redet, nicht auf unsere Aufregung, damit konnte man hier gar nichts anfangen, mit dieser Erwartungshaltung, auf diese geifernde Vorfreude war man hier ganz allergisch. Erst standen wir am Randder Tanzfläche, später am Rand der Bar und bald darauf in einer Ecke, von wo aus wir Bar und Tanzfläche überblickten. Johanna schrie mir ins Ohr, dass sie sich das alles irgendwie dionysischer vorgestellt habe. Wir erkannten die Lieder, die wir im Gartenhaus gehört hatten. Es waren keine Lieder, zu denen Mädchen ihr Hausaufgabenheft verzieren oder ihre Schulordner mit Modefotografien aus Frauenmagazinen bekleben. Manche Lieder laden zum Träumen ein, diese nicht. Diese Lieder wollen, dass man etwas kaputtmacht. Man wacht auf, wenn man etwas kaputtmacht, das vor allem wollen diese Lieder. In diesen Liedern gibt es Wörter, die ich nicht verstand und die auch nicht im Oxford Advanced Learner’s Dictionary zu finden waren. Es beunruhigte mich nicht, dass sie dort nicht zu finden waren. Es war nicht schlimm, wenn man nicht jedes Wort verstand. Man muss nicht jedes Wort verstehen. Man muss wissen, worauf es außerhalb der Wörter ankommt, wusste ich damals schon. Ich hörte das höhnische Lachen in diesen Liedern und mochte es. Sie waren kalt und schneidend, aber keine Abstraktion. Sie trösteten nicht und verwiesen auch nicht auf eine Schönheit im Kleinen, auf das Richtige im Falschen. Das war wichtig. Man konnte sich nicht einrichten in und mit diesen Liedern, sie machten nichts für einen, sie wollten, dass man alles für sie machte. Die Alten auf den Bänken schliefen jetzt, doch sie hätten sieausdrücklich nicht gutgeheißen, diese Lieder. Und dann auch noch in einer Lautstärke, bei der man sein eigenes Wort nicht mehr versteht, hätten sie moniert. Und obwohl sie überhaupt keine Worte verstanden, würden sie sofort wissen, worum es geht in diesen Liedern. Diese Lieder wollen so vieles, an das man im Hinterland nicht einmal im Traum denken soll. Die Alten sitzen auf den Bänken vor der Kirche, alles unter Kontrolle, denken sie. Doch Karl Rieder hatte ganze Nachmittage lang die Namen im Anzeigenkasten studiert, Geburten, Trauungen, Tode, Kinderbibelwoche, und wir hatten im Gartenhaus den Kopf gehoben. Vor dem offenen Fenster die Tanne. Die leer gefressenen Meisenknödelnetze vom vergangenen Winter hatten im Föhnwind geschaukelt, we kissed in his room to a popular tune , auch Johanna hatte über die geräderte Katharina hinweg ihren Blick nach draußen gerichtet, oh, real drowners . Wir waren jetzt da, wo diese Lieder uns hingeführt hatten. Sie haben da nicht auf uns gewartet.
    Um die Tanzfläche herum gruppierten sich Gestalten mit einer bestimmten Art von Schönheit. Das Hinterland bringt diese Art von Schönheit nur alle heiligen Zeiten einmal hervor, sie hält sich dort nie lange. Die Mädchen hatten weite, kurze T-Shirts an, unter denen ihre kleinen Brüste verschwanden, die abgewetzten Jeans schlotterten um ihre Beine und hingen so tief, dass man die Bündchen

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