Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)
Johanna angeschaut und für gut genug befunden zu werden. Und nicht einmal das wollten sie wirklich. Im Grunde reichte es, wenn Johanna einfach mit ihnen mitging und den Rest ihnen überließ.
»Ey, deine Freundin da«, unterbrachen sie mich, »ist die immer so zickig?«
Sie waren mir zuwider. Ich war erleichtert, wenn sie sich schließlich abwandten. Im Weggehen spucktensie auf den Boden, drehten sich noch einmal um und zischten »Dumme Fotze« oder »Schlampe«. Wir blieben zurück, Johanna drückte meine Hand.
»Tiere«, sagte sie, und ich überlegte, ob sie jetzt mich oder sie oder uns beide gemeint hatten.
Es gab aber auch die anderen, die, die nichts sagten und, wie zufällig angeschwemmt, neben uns standen. Zartbesaitete junge Männer, dekadent, die letzten ihrer Art. Man durfte ihnen nichts zumuten, sie waren keine Abenteurer, schon kleine Vorfälle und Ereignisse zerrütteten sie, und deshalb mieden sie Vorfälle und Ereignisse und standen meist einfach herum und drehten Zigaretten oder zupften am späten Nachmittag in ihren nur spärlich eingerichteten Zimmern an Gitarren herum, blätterten in Büchern und Zeitschriften, die nur in Minimalstauflage erschienen, und brachten das Leergut nicht weg. Diese jungen Männer waren nicht wirklich unglücklich. In einigem Abstand schloss sich ein Ring um sie, ein Schwarm Mädchen wie Fruchtfliegen, und obwohl sie selbst nur bedingt etwas mit diesen Mädchen anzufangen wussten, wurden sie doch von den anderen jungen Männern, denen, die nicht zart waren, den zur Bodenständigkeit verdammten, denen, die ausspuckten und im Weggehen »Dumme Fotze« oder »Schlampe« sagten, beneidet. Sie spürten diesen Neid und kosteten ihn aus, auch hier, wenn sie scheinbarnur schlaff herumstanden vor den kargen Vorfrühlingswäldern. Sie verbrauchten die Fruchtfliegenmädchen. Die waren aber auch selbst schuld. Denn sie konnten die einfachsten Dinge nicht auseinanderhalten. Wollten sie mit diesen jungen Männern zusammen sein, von ihnen gebraucht und gewollt werden, oder wollten sie so sein wie diese jungen Männer, sich selbst genügend, nichts wollend, so ganz ohne Drängen? Wollten sie nicht das viel mehr? Sie hätten es nicht zu sagen vermocht, man fragte sie aber auch nie. Zu beobachten war allerdings, dass es die jungen Männer und diese hübschen, verlorenen Mädchen nie lange miteinander aushielten, und das, obwohl die Mädchen ihrer Liebe mit Polaroidkameras stetig auf den Fersen waren. Sie lauerten ihr regelrecht auf, dieser verhuschten Liebe. Sie wussten, dass diese Liebe kein Ereignis war, diese Liebe war wie sie selbst, mehr Atmosphäre, nichts, an das man sich halten konnte. Doch die Fruchtfliegenmädchen waren im Grunde auch nicht anders als andere Mädchen. Etwas dünner vielleicht und mit Müttern, die ihnen noch ins Studentenwohnheim selbstgebastelte Adventskalender hinterherschickten, aber auch diese Mädchen suchten etwas, woran sie sich festhalten konnten. Deshalb brauchten sie die Polaroidfotos, auf denen sich ihre windige Liebe verdichtete: Sie zeigte sich in beschlagenen Badspiegeln, vor denen sie mit nackten Oberkörpern und verwischtemMake-up standen und in die sie hineinschauten, als würden sie gleich den Drogentod sterben, sie zeigte sich in zerwühlten Betten in kargen Zimmern, sie zeigte sich in melancholischen Blicken aus unzureichend isolierten Fenstern in einen Großstadthinterhof an einem nebligen Morgen oder Abend, nicht zu vergessen die Zigarette in der Hand. Wenn sich ihre Finger um einen Kaffeebecher mit abgebrochenem Henkel legten, war sie ganz gegenwärtig, diese Liebe. Oft fotografierten sie auch ihre Füße, zu denen sie eine eigene Meinung hatten. Im Austausch mit anderen Fruchtfliegenmädchen wurden diese, ihre Füße, von ihnen selbst als »komisch«, ja sogar irgendwie »eklig« aussehend verraten. Dennoch bemühten sie sich um diese Füße, lackierten die Nägel farbig, grün, blau, orange, und fotografierten sie im Sommer, im Park, im Gras, im nassen Rinnstein. So sollte sich Jungsein anfühlen. Es war eine große Last. Und vielleicht, auch wenn ich das damals nicht sehen konnte, weil ich selbst daran teilhaben wollte, vielleicht hatte Johanna recht, vielleicht wollten sie wirklich nur befreit werden. Vielleicht war es nicht Johannas Schönheit, die sie anzog und machte, dass sie neben ihr standen, stundenlang, und sie von unten herauf anblickten. Es war eine für diese jungen Männer verwirrende Schönheit, denn sie war da, trotz
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