Einer kam durch
eigenartiges Unbehagen. Ein Kriegsgefangenenlager war das nicht! Aber was war es überhaupt? Der Zivilist am Tor, die hastig gemurmelten Parolen, die riesigen Stacheldrahtverhaue und die Telefoniererei zwischen den Eingängen! Warum führte man ihn in den Keller – und was bedeutete dieser Krankenhausgeruch?
Der Sergeant klopfte an eine Tür und öffnete.
Werra stand an der Schwelle eines kleinen, gleißendhell erleuchteten Raumes. Alles in Weiß. Weißgestrichene Wände, ein Mann in weißgestärktem Kittel, weiße Emailschalen – und das Glitzern geheimnisvoller Instrumente in einem Glasschrank.
Der kahlköpfige Mann saß an einem Tisch und schrieb. Er sah auf. »Gut, Sergeant. Warten Sie draußen!«
Absätze knallten. »Yes, Sir!«
»Von Werra? Speak English?« Der Mann hatte eine laute, bellende Stimme.
»Yes, Sir.«
»Gut. Gehen Sie nach nebenan und ziehen Sie sich aus!«
»Wie bitte?«
»Ausziehen. Ihre Sachen sollen Sie ausziehen! Verstanden?«
»Jawohl.«
Der Weißgekleidete drückte auf eine Klingel. Ein junger Mann, ebenfalls im weißen Kittel, öffnete von draußen eine Tür auf der anderen Seite des Raumes. »Wie immer, Corporal.«
»Very good, Sir! Hier herein …«
Werra erinnerte sich an Gerüchte über die Keller bei der Berliner Gestapo. Während er in den Nebenraum ging, sah er einen Rolltisch, auf dem unter anderem eine Spritze in einem nierenförmigen Gefäß lag, und dahinter stand eine Emailschale mit einem zusammengerollten Gummischlauch.
Er zog sich aus. Sein Körper war braungebrannt von Sonne und See an Frankreichs Küste. Der Corporal wog ihn, maß seine Größe, notierte Körpertemperatur und Puls und reichte ihm eine Ente. »Gehen Sie dort hinein …«
Nach einigen Minuten erschien der Kahlköpfige, sah mit raschem Blick die sportliche Figur des Gefangenen an. Breite Schultern, schmale Hüften. Durchtrainiert, muskulös und elastisch. Vielleicht ein wenig unsicher geworden, wenn auch eisern entschlossen, es nicht zu zeigen! Aber die dünne Schweißbildung auf der Haut, die schnellere Atmung und das sichtbar schlagende Herz verrieten doch seine Erregung.
»Ziehen Sie Ihre Hosen über und setzen Sie sich«, bellte der Mann. »Mund auf! Fertig, Corporal?«
»Yes, Sir!«
»Gebiss in Ordnung?«
»Tadellos, Sir!«
Offenbar war das Ganze nichts als eine medizinische Untersuchung, und der Weiße mit dem kahlen Kopf mußte wohl der Arzt sein.
Die Eintragungen auf von Werras Formular wurden später an alle Polizeistationen durchgegeben und vom BBC gesendet:
Alter: 26 Jahre.
Größe: 5 Fuß, 7 Zoll (1,70 m). Gewicht: 140 Pfund.
Aussehen: Kräftiger Wuchs. Blondes, welliges Haar. Blaue Augen. Gesunde, ebenmäßige weiße Zähne. Frische Hautfarbe. Glattrasiert.
Besondere Kennzeichen:
Steifer, gestreckter und narbiger Zeigefinger der rechten Hand. Keine Ohrläppchen.
Nach der medizinischen Untersuchung ging es wieder durch endlose Korridore, durch Hallen und endlich eine Treppe hoch. Mit jeder Stufe sank Werras Stimmung. Überall standen schwerbewaffnete Posten herum. Was für ein verdammtes Spiel trieben diese Brüder mit ihm? Wenn sie irgendeine Schweinerei vorhatten, dann – zum Teufel – sollten sie doch endlich damit anfangen!
Aber diese verdammten Tommies ließen sich nicht in die Karten sehen. Es war zum Kotzen! Endlich blieb der Sergeant vor einer Tür im dritten und obersten Stockwerk stehen. Im Schloß steckte ein Schlüssel mit einer Messingnummer.
»Dies ist Ihr Zimmer. Zu essen bekommen Sie später.«
Er ließ von Werra eintreten, schloß die Tür und zog den Schlüssel ab. Seine Schritte verklangen.
Schweigen. Der Raum lag groß und hoch in der schnell hereinbrechenden Dämmerung. An den Wänden vier eiserne Betten mit Armeematratzen und sauber gefalteten Khakidecken am Fußende. Ein Tisch, Spinde, Stühle aus rohem Fichtenholz. Auf dem Boden ein paar kurze Kokosläufer. Nirgendwo ein Anzeichen, daß noch andere Gefangene in diesem Raum lebten. Von Werra warf die eben gefassten Sachen auf den Tisch und trat ans Fenster. Es war oben offen, aber außen vergittert. Er sah die doppelte Stacheldrahtumzäunung des Lagers und die patrouillierenden Wachen. In der Ferne sah er Wälder und am Horizont, hoch über den Baumkronen, eine Reihe schwarzer Punkte: die Sperrballone von London.
Die Nacht fiel herein. Werra lag im Dunkeln auf einem der Betten. Eine Glühbirne hing unter der Decke, aber er fand keinen Schalter. Gleichgültig. Er lag und lauschte –
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