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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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aber er schien in diesem Teil des Gebäudes völlig allein zu sein. Aus den Nebenräumen und Korridoren kam nicht das geringste Geräusch.
    Dann hörte er näher kommende Schritte. Die Tür wurde aufgeschlossen und flog mit einem Knall nach innen. Der Schein einer Taschenlampe stach in den Raum, suchte über die Betten und blieb an dem Gefangenen hängen. Er richtete sich auf.
    »Liegenbleiben!« brüllte jemand von der Tür her.
    »Was ist denn los?«
    Ein Mann ging auf den Tisch zu, warf die Sachen des Gefangenen herunter und setzte etwas hin. Der Scheinwerfer der Taschenlampe rührte sich nicht von der Tür. Am Fenster wurden Riegel hin- und hergeschoben. Ein Blendladen verdeckte den Sternhimmel. Es wurde ganz dunkel. Schritte tappten vom Fenster weg, und dann knipste jemand draußen an einem Schalter. Fast schmerzhaft strömte das Licht von der Decke. Werra blinzelte den Sergeanten und einen Soldaten an, die bewegungslos im Türrahmen standen.
    »Ihr Abendessen«, sagte der Sergeant.
    Auf dem Tisch stand ein Tablett. Eine Tasse Kakao, drei dicke Schnitten Brot. Dünn bestrichen mit Margarine und Marmelade.
    Die Soldaten gingen hinaus.
    »Lassen Sie die Verdunkelung in Ruhe!« sagte der Sergeant, ehe er abschloss.
    ***
    Bis zum nächsten Abend blieb Franz von Werra allein. Er hatte nichts zu lesen und nichts zu rauchen, er hatte nichts zu tun, als zu warten und zu grübeln. Seine einzige Zerstreuung war ein schwerer Luftangriff auf London während der Nachmittagsstunden des zweiten Tages. Die Wachen ließen sich auf keine Unterhaltung ein. Er protestierte gegen diese Behandlung, als der Sergeant kam, der ihm das Essen brachte. Er würde den Protest weitergeben, sagte der Mann. Später hörte Werra, daß dieser Sergeant von den Kriegsgefangenen ›Feldwebel Später‹ genannt wurde, da er alle Beschwerden und Anfragen mit dem einen Wort ›Später‹ beantwortete.
    »Kann ich mich waschen und rasieren?« – »Später!«
    »Kann ich etwas zu lesen bekommen?« – »Später!«
    »Ich muß auf die Toilette!« – »Später!«
    »Ich wünsche sofort den kommandierenden Offizier zu sehen!« – »Später!«
    »Ich verlange, sofort in ein ordentliches Lager abgestellt zu werden!« – »Später!«
    Als es wieder Abend wurde, hatte Werras Stimmung einen neuen Tiefpunkt erreicht. In der Dämmerung – es war Sonnabend, der 7. September – wurde er nach unten gebracht. Vor ihm und hinter ihm marschierte eine Wache. Sie gingen über viele Treppen und durch lange Gänge in einen anderen Teil des Gebäudes. Endlich klopfte der vorangehende Posten an eine Tür ohne Nummer und Beschriftung. Nach einer kurzen Pause rief eine Stimme lebhaft: »Come in!«
    Werra wurde in ein gemütlich möbliertes Büro geschoben.
    Die Wände waren holzgetäfelt, Teppiche bedeckten den Boden, und in den Ecken standen bequeme lederne Klubsessel. Vor den Fenstern hingen Verdunkelungsvorhänge. Die Deckenbeleuchtung strahlte ein freundliches Licht aus, aber eine starke Leselampe warf ein grelles Licht auf den Mahagonischreibtisch, an dem ein Offizier der RAF saß und schrieb. Der Kopf des Offiziers beugte sich über den Tisch und geriet so in den Lichtkreis der Lampe. Sein Haar war dünn und zog sich über den Schläfen zurück. Aber es war noch schwarz und glänzend.
    Werra betrachtete die Knöpfe der Uniform, die Pilotenabzeichen und die zwei Reihen Ordensbänder – die Zigarettendose mit dem Spitfiremodell auf dem Deckel, den Aschenbecher aus Kristall und den schweren Silbergriff eines Spazierstocks, der an die Schreibtischkante gelehnt war.
    Die beiden Wachen gingen mit ihm bis vor den Schreibtisch.
    »Ja?« fragte der Offizier, ohne aufzublicken.
    »Corporal Bates mit dem Gefangenen von Werra zur Stelle!« sagte einer der Soldaten.
    »In Ordnung, Corporal. Sie bleiben vor der Tür als Posten. Abtreten.«
    Als sich die Tür schloß, sah der Offizier endlich auf. Er hatte ein schmales, durchfurchtes Gesicht, buschige, nach oben strebende Brauen und einen hochgezwirbelten schwarzen Schnurrbart. Seine eingesunkenen kleinen Augen funkelten wie schwarze Knöpfe.
    In flüssigem, aber akzentuiertem Deutsch sagte er: »Ich bin Squadron Leader King. Setzen Sie sich, Oberleutnant von Werra.«
    Der Gefangene nahm die Hacken zusammen, verbeugte sich förmlich und setzte sich dann in einen niedrigen Ledersessel, dicht neben den Schreibtisch.
    Der britische Offizier schrieb noch mindestens zwei Minuten lang, schloß dann die Akte, warf sie in einen

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