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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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die als ›Tommies auf Urlaub‹ gereist waren, bis man sie vor Manchester vom offenen LKW heruntergeholt hatte.
    »Vierzehn Tage Einzelhaft wegen Fluchtversuchs«, sagte der britische Lagerkommandant und betrachtete einen nach dem anderen durch seine Schulmeisterbrille: »Haben Sie irgendwelche Beschwerden vorzubringen? Sind Sie schlecht behandelt worden?«
    »Nein, Sir!« sagten die fünf wie aus einem Munde.
    Weihnachtsabend. Draußen fiel Schnee. Die fünf Ausreißer saßen in ihren Einzelzellen. Ihr Gesuch, den Heiligen Abend gemeinsam verbringen zu dürfen, war abgelehnt worden. Immerhin gab es Butter und Wurst zum Abendessen, und wie die anderen Gefangenen bekamen auch sie jeder eine Flasche Wein. Der Posten, der das Essen brachte, hatte sich ein paar Mistelzweige und Kerzen eingesteckt, so zog Weihnachten denn auch in die Strafzellen des Gefangenenlagers Swanwick ein. Die Zellen lagen nebeneinander. Die Wände waren dünn und aus Holz, und als Wagner für sich anfing, leise ein Weihnachtslied zu singen, da fielen die anderen mit ein. Und während draußen im Schnee der Posten seine Runde stapfte, klang der Gesang der fünf Männer heimatlich durch die englische Winternacht.
    Werra konnte in dieser Nacht lange nicht schlafen. Er mußte an die Geschichte des polnischen Majors denken und daran, wie er gesagt hatte: »Die Menschen sind überall gleich. Überall, wo man sie Menschen sein läßt.« Er versuchte sich die Frau vorzustellen, Nadja war wirklich ein schöner Name, gewiß war sie eine sehr schöne Frau gewesen, ob sie dieselben hellgrauen Augen gehabt hatte wie der Major? Und als das Licht zu flackern begann, weil die letzte Weihnachtskerze zu Ende ging, da fiel ihm der Geburtstagskuchen der kleinen Manja von Sobrowski ein. Ob sie noch am Leben waren, die beiden kleinen Mädchen? Oder waren auch sie tot, wie ihre Mutter? … Wozu? – Warum? War das der ganze Sinn des Krieges, der ihm bisher als ein großes, männliches Abenteuer erschienen war?

Gut geschützt nach Kanada
    Am Morgen des 2. Januar 1941 kam der Lageradjutant in jede einzelne Zelle und verkündete: »Morgen werden sämtliche gesunden Insassen von Swanwick nach Kanada überführt!«
    »Diesmal muß es klappen!« war Werras einziger Gedanke. Wie – das würde sich finden.
    Bei den meisten PWs aber schlug die Nachricht wie eine Bombe ein. Sie alle hatten jeden Morgen mit der Hoffnung begrüßt, daß nun endlich die deutsche Invasionsarmee landen und sie befreien würde. Sie waren aus einem Europa gekommen, das noch keine deutsche Niederlage gesehen hatte. Der Krieg in Russland stand noch gar nicht zur Debatte, Hitlers Blitzfeldzüge gegen Polen, Holland, Belgien, Frankreich und die skandinavischen Länder waren alle planmäßig verlaufen. Daß es mit dem ›Unternehmen Seelöwe‹ – dem Sprung auf die britische Insel – im Jahre 1940 nichts geworden war, blieb zwar ein wenig verwunderlich, aber wahrscheinlich wurde die Sache eben mit der beim deutschen Generalstab üblichen Sorgfalt vorbereitet. 1941 würde ja auch noch Zeit dazu sein.
    Eine Verlegung nach Kanada aber machte die Befreiung in absehbarer Zukunft unwahrscheinlich. Denn stur, wie die Engländer einmal waren, würden sie den Krieg womöglich von Kanada aus weiterführen, selbst wenn die britische Insel besetzt wäre. Und was dann? Dann lagen gut und gern fünftausend Kilometer zwischen den Kriegsgefangenen und der Heimat!
    Die Engländer dachten im Grunde nicht anders. Sie rechneten immer noch mit der deutschen Landung, deshalb hatten sie ja sämtliche Wegweiser, Ortsnamen und Bahnhofsschilder entfernt, und deshalb wollten sie auch die Gefangenen los sein, denn die Deutschen sollten auf der Insel nicht gleich eine Hilfstruppe vorfinden, die sie nur aus der Stacheldrahtumzäunung zu befreien brauchten.
    Es hat in allen Lagern bei der Mitteilung »Morgen geht's nach Kanada« spontane Ausbruchsversuche, Hungerstreiks und zumindest heftige Diskussionen gegeben. Dabei spielte die U-Boot-Gefahr eine erhebliche Rolle. Die deutschen Unterseeboote lagen überall auf dem Atlantik in Erwartung der britischen Geleitzüge. Wenn man sich auf die deutschen Nachrichten verließ, dann erwischten sie jeden Dampfer, der südlich Island herumfuhr.
    »Ist es fair«, fragen die Sprecher der Gefangenen, »und entspricht es den Bestimmungen der Genfer Konvention, wenn man uns der Gefahr einer fast sicheren Torpedierung aussetzt?«
    »Es ist sogar sehr fair«, antworteten die Engländer jedes Mal

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