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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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Verschluss des Etuis zu spielen begann, es auf- und zuklappte, immer wieder auf und zu, bis er es schließlich mit einem Entschluß in einer der aufgesteppten Taschen seines Uniformrocks verschwinden ließ. Dann schlug er die Beine übereinander, umfasste mit seinen nervösen Händen die Knie und sah wieder hinaus auf das gerade Band der Straße.
    Die Geschichte, die der deutsche Oberleutnant Franz von Werra an diesem hellen Wintermorgen, wenige Tage vor Weihnachten des Jahres 1940, auf einer Landstraße in Mittelengland von einem unbekannten Major zu hören bekam, ist ihm nie mehr ganz aus dem Sinn gegangen. Vielleicht war er zu jung, vielleicht war er seiner ganzen Veranlagung nach auch zu unbekümmert, um die Tragik dieses heimatlosen Soldaten in einer heimatlosen Armee ganz zu begreifen. Gewiß, das war eine Seite des Krieges, an die er bisher nie gedacht hatte; ihm war das letzte Jahr immer wie ein großes Abenteuer erschienen, das ungebundene Leben auf den Feldflugplätzen an der französischen Küste, der Rausch des Fliegens, wenn man in der Dämmerung startete und Höhe gewann, bis plötzlich die Sonne über den Horizont blitzte, während drunten auf der Erde noch alles dunstig und dunkel schien … der Luftkampf von Mann zu Mann, die Maschine wie ein Rennpferd unter sich, den Gegner im Visier … Nun, auch er, Franz von Werra, hatte den Krieg nicht gewollt, aber jetzt war er einmal da, jetzt mußte man sich mit ihm abfinden, und wieviel leichter war das, wenn man ja zu diesem Leben sagte, ja zu jedem Morgen, der über den Ebenen der Normandie heraufgestiegen war, ja zu jedem Einsatz gegen den Feind. Feind? Was war das überhaupt? War dieser Pole sein Feind?
    Seine Geschichte begann in Czernowitz, in jenem nordöstlichen Zipfel der Bukowina, wo Ungarn, Rumänien, Polen und die sowjetrussische Ukraine aneinander stoßen. Und sie begann ein gutes Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende.
    Damals war der Vater des Majors aus Budweis nach Wien gekommen. Er stammte aus einer Familie, deren Söhne in wechselnder Regelmäßigkeit Offiziere oder Juristen geworden waren. Als Zweitgeborener hatte er die juristische Laufbahn eingeschlagen, und da das kleine Budweis seinen glänzenden Fähigkeiten keine rechte Entwicklungsmöglichkeit geboten hatte, war er in die Donaumetropole gegangen, hatte die schöne und nicht weniger ehrgeizige Tochter eines Sektionschefs am Obersten Gerichtshof geheiratet und war schließlich dank seiner Kenntnisse und mit ein wenig nachhelfender Protektion des Schwiegervaters Kaiserlicher und Königlicher Bezirkshauptmann in Czernowitz geworden. Dort, an den Ufern des Pruth, hatte der Major seine Kindheit verbracht, und mit ihm war endlich auch die Tradition der Familie durchbrochen worden, er hatte an der deutschen Universität von Czernowitz Maschinenbau zu studieren begonnen. Das war im Jahre 1910 gewesen, um die gleiche Zeit, da sein um zwölf Jahre jüngerer Bruder eben eingeschult wurde. Es hatte nicht lange gedauert, bis die Weltgeschichte zum ersten Male ihre Brandungswellen über den Lebensweg dieser Familie warf. Schon im ersten Kriegsjahr war die Stadt mehrfach von den Russen besetzt und wieder von den Österreichern befreit worden, im Sommer 1916 hatte schließlich der russische General Brusilow auf breiter Front seine Offensive gegen die österreichisch-deutsche Front begonnen, und Czernowitz war bis kurz vor Beginn der bolschewistischen Revolution in den Händen der Russen geblieben. Die Mutter war mit dem jüngeren Bruder längst nach Wien zurückgegangen in das Haus des Großvaters, sein Vater, der Landeshauptmann, hatte mehrfach fliehen müssen, und als 1918 die Bukowina mit Czernowitz an Rumänien fiel, da war es endgültig aus gewesen mit der ganzen Herrlichkeit.
    Der Major griff wieder zu dem goldenen Etui, bot Werra eine Zigarette an, und während der Deutsche sie unter der federnden Goldspange hervorzog, konnte er das Monogramm nun genau erkennen – J.v.S. lauteten die Buchstaben – und im gleichen Augenblick fiel ihm ein, wo er das Etui schon einmal gesehen hatte: Sein Staffelführer im 3. Jagdgeschwader, der Hauptmann Franz von Sobrowski, hatte ein solches Etui besessen. Franz von Sobrowski, ›der fliegende Herrenreiter‹ – und nun die Buchstaben J.v.S. auf dem gleichen Etui in der Hand eines polnischen Offiziers in England … Was konnte das zu bedeuten haben?
    »Sehen Sie«, sagte der Major, der bemerkt haben mochte, wie sein Gefangener das Etui aufmerksam

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