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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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mit einem Achselzucken, »die Genfer Konvention schreibt nämlich vor, Gefangene dort unterzubringen, wo sie möglichst von den Kampfhandlungen nicht bedroht sind. In England sind sie durch die deutschen Luftangriffe überall bedroht. In Kanada sind sie sicher. Also schaffen wir sie nach Kanada!«
    Die fünf Insassen der Strafzellen von Swanwick konnten sich in den Meinungsstreit nicht einmischen. Kaum war der Adjutant verschwunden, da hängte Werra sich an sein ›Zimmertelefon‹. Er hatte natürlich längst herausbekommen, daß man dort, wo die Heizungsrohre durch die Wand gingen, gut miteinander sprechen konnte.
    Nebenan meldete sich Leutnant Wagner.
    »Du bist doch in Kanada gewesen, Wagner. Hast du eine Ahnung, wohin wir da kommen?«
    »Keinen Schimmer, Kanada ist riesengroß!«
    »Besteht eine Chance, von dort in die Vereinigten Staaten abzuhauen?«
    »Schon möglich. Die beiden stoßen ja aneinander.«
    »Und wie ist das – die USA sind doch neutral – dürfen die einen eigentlich ausliefern?«
    »Glaube ich nicht, Werra. Aber erst müssen wir mal hinkommen! So einfach wird das wohl nicht sein. Weißt du, Kanada …«
    Und dann begann Wagner von seinen Reisen in Kanada zu erzählen. Einmal mußte er seinen Vortrag allerdings unterbrechen, denn der Adjutant kam zurück und brachte jedem eine Rotkreuz-Postkarte mit dem Aufdruck: »Mir geht es gut. Ich werde von England nach Kanada verschickt.« Unter diese vorgedruckten Worte sollten die Gefangenen ihren Namen setzen und die Karte dann an die nächsten Angehörigen schicken. Aber sie pfiffen auf die Vorschrift und bekritzelten jeden weißen Fleck der Karte.
    Am Abend wurden sie aus ihren Zellen in die große Messehalle gebracht. Da war eine Art riesiger Kleiderkammer aufgemacht worden. Mäntel, Schals, Unterzeug, wollene Strümpfe lagen zu Bergen herum. Jeder durfte nach Herzenslust wühlen und sich heraussuchen, was er brauchte. Das britische Kriegsministerium lieferte diese Sachen auf Kredit, der Kaufpreis sollte später von der Löhnung abgezogen werden. Am meisten fanden die Gefangenen an den warmen Mänteln Gefallen. In Kanada würde es kalt sein, hatten sie gehört, und das hier war kein Ersatzstoff, sondern echte, reinwollene Kammgarnware. Aber die Begeisterung sank bald, als sich herausstellte, daß sämtliche Mäntel Einheitsgröße hatten – für Jugendliche. Sollte das Schikane sein, oder hatte der berühmte Amtsschimmel diese Bescherung angeschleppt? Jedenfalls konnten Männer wie Manhart und Cramer oder gar die stämmigen U-Boot-Kommandanten diese Mäntel nicht anziehen, geschweige denn zuknöpfen. Überall krachte es in den Nähten, die Knöpfe sprangen ab und hüpften über den Fußboden. Lachen und Schimpfen erfüllte den Raum. Nur der zierliche Werra fand einen dunkelblauen Mantel von bester Qualität, der ihm paßte, als wäre er von einem Maßschneider in der Bond Street für ihn angefertigt worden.
    »Seht ihr, das habt Ihr nun davon, daß Ihr so groß seid«, lachte er seinen Kameraden zu.
    Die Gefangenen kauften und verpfändeten ihren Wehrsold auf Jahre hinaus. Wenn der Krieg bald zu Ende war, dann würde ihnen der Kammerbulle den Kram ›für gebraucht‹ wieder abnehmen müssen. Und wenn die U-Boote sie auf den Meeresgrund schickten, dann hätte man wenigstens den Tommy noch ein bißchen geschädigt. »Tote Gefangene können keinen Vorschuss zurückzahlen«, sagte Werra und packte sich die Taschen seines Mantels voll Strümpfe und Wäsche. Und als dann in der Kantine ein Schild aufgehängt wurde, das den ›Räumungsverkauf‹ ankündigte, da benahmen sich die Gefangenen nicht anders als unsere Hausfrauen beim Winterschlussverkauf, und alles fand seinen Käufer, vom Pfeifenstopfer bis zu Cadbury-Schokolade und Zigaretten. Besonders Manhart zeigte sich hier äußerst interessiert. Er pflügte sich einen Weg durch die Menge und erstand einen neuen Vorrat von Schokolade für sein Mädchen in Berlin. Der alte Bestand war auf der Polizeiwache in Sheffield geblieben …
    In viel zu engen Mänteln, mit Pappkartons und Seesäcken beladen, stapften sie später in ihre Zimmer. Auch die fünf Ausbrecher durften die letzte Nacht wieder im Gartenhaus von Swanwick verbringen. Die Kammer, durch deren Boden sie den Tunnel gegraben hatten, war mit Latten verriegelt. Es roch nicht mehr nach frischer Erde, die Zisterne im Garten war wieder verschlossen.
    Am Abend trat Leutnant Gipsbeins Gesangsverein zum letztenmal zusammen und sang wehmütige

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