Einer kam durch
aus beobachtet.«
»Zuviel der Ehre!« sagte Werra spöttisch. »Und Sie meinen, auf hoher See sei ich dann wieder ungefährlich?«
»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Werra: der Atlantik ist groß, und das Wasser ist verdammt kalt. Und – Flugzeuge gibt es hier an Bord nicht.«
Damit empfahl sich der Engländer. Die beiden jungen Soldaten brachten den Gewohnheitsausbrecher in seine Sonderkabine und bezogen draußen Posten. Sie sprachen kein Wort mit dem Gefangenen, aber alle halbe Stunde kam einer herein und kontrollierte das Bullauge.
»Glaubt Ihr etwa, ich könnte diese Messingschrauben mit den Fingernägeln aufdrehen?« fragte Werra schließlich. Aber der Posten schnaubte nur und sagte nichts.
Immerhin machte ihm das merkwürdige Verhalten des Gefangenen Kopfzerbrechen. Denn kaum hatte der Mann sich in seiner Sonderkabine umgesehen, als er Jacke und Mantel auszog, ein Nähbesteck aus der Tasche kramte und anfing, seine Uniformjacke aufzutrennen und ihre Seitentaschen abzureißen. Er saß unter dem Bulleye in Hemdsärmeln und arbeitete, als ob er dafür bezahlt würde.
»Ein Ausbrecher soll der sein? Will dir sagen, was er ist, ein verdammter Schneider!« sagte der Wachsoldat, der eben wieder das Bulleye kontrolliert hatte, zu seinem Kameraden. »Ob wir dem Chef das melden müssen?« Und er betrachtete mißtrauisch den Mann, der emsig dabei war, seine Jacke von Grund auf umzubauen.
»Kann nichts Verbotenes daran sehen«, brummte der andere. »Irgendwas muß ein Mensch ja tun. Der hier schneidert. Andere singen. Wenn er sonst nichts tut, ist es mir gerade recht …«
An Backbord hörte man mitunter ein dumpfes Schurren. Das waren die Fähren, die unentwegt zwischen der Pier von Greenock und der ›Duchess of York‹ hin- und herpendelten und Ladungen von Gefangenen an Bord brachten. Mitunter waren es auch keine Gefangenen, sondern Rekruten der Royal Air Force – junge Flieger, die in England ihre Grundausbildung erhalten hatten und nun zur fliegerischen Ausbildung beim ›Empire Air Training‹ nach Kanada geschickt wurden.
Das Schiff war in zwei ungleiche Teile aufgeteilt worden. Stacheldrahtzäune trennten Vorschiff und Achterschiff voneinander. Vorn, in den Kabinen der ersten und zweiten Klasse, saßen die englischen Flieger von morgen. Achtern, in den Kabinen der dritten Klasse, hausten die deutschen Flieger von gestern. Doch die Ladeluke lag, wie bei allen großen Passagierdampfern, im Achterschiff, und das Stückgut mußte also durch die deutschen Quartiere nach vorn gebracht werden. Dabei ließ es sich nicht vermeiden, daß hin und wieder eine Kiste in der deutschen Abteilung verschwand und ausgeräumt wurde. Die PWs erbeuteten an diesem Vormittag mehrere Kisten mit Eiern und Corned Beef als angenehme Zulage zur schmalen Gefangenenkost; ferner eine Ladung Dienstvorschriften der Royal Air Force mit dem Aufdruck: »Nur für den Dienstgebrauch!« Sie überlegten lange, was sie damit anfangen sollten, fanden die Formulare unverdaulich und warfen sie schließlich aus einem Bulleye.
Drei vollzählige U-Bootbesatzungen und etwa 650 Soldaten der deutschen Luftwaffe waren in großen Massenquartieren über der Schiffsschraube unterbracht worden. Sie kamen aus einem Sammellager bei Liverpool, wo sie monatelang in einer alten Fabrik gehaust hatten.
Über den Massenquartieren der Mannschaften befanden sich die Kabinen dritter Klasse, in denen 250 deutsche Offiziere wohnten. Mannschaften und Offiziere waren durch einen Niedergang miteinander verbunden, der allerdings mit Stacheldraht eingezäunt worden war. Nur eine der drei vorhandenen Treppen konnte benutzt werden.
Ebenso gab es im oberen Teil des Schiffes nur einen Gang, der nicht verdrahtet worden war. Durch ihn konnte man vom deutschen in den englischen Teil des Schiffes gelangen. Ein britischer Posten mit aufgepflanztem Seitengewehr bewachte den Durchgang. Es schien so gut wie ausgeschlossen, daß ein Gefangener aus seinem Quartier ausbrach. Nun, die ›Duchess of York‹ hatte eine lange Seereise vor sich, und die Engländer wußten als alte Seefahrer genau, was eine Meuterei auf hoher See bedeuten konnte.
Von alledem wußte Werra vorerst nichts. Er saß in seiner Einzelzelle und arbeitete an seiner Jacke. Von weither konnte er das Trappeln der Füße hören, wenn ein neuer Schub Gefangener an Bord kam, das kurze Aufheulen der Dampfwinsch auf dem Oberdeck, das lang gezogene Surren, wenn ein Netz mit Kisten hochgehievt wurde.
Wenn seine Finger
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