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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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betrachtete, »das ist das einzige, was mir von damals geblieben ist.« Er wog das flache Kästchen mit den Rubinen und der ein wenig altmodischen Ziselierung in der Hand.
    »Ich bekam es zum Baccalauréat – ich glaube, bei Ihnen sagt man Abitur – von meiner Mutter geschenkt. Ich habe sie nie wieder gesehen seit jenem zweiten Weltkriegssommer, als sie mit meinem Bruder nach Wien zurückging.«
    »Weshalb blieben Sie denn dort … ich meine, warum sind Sie nicht mitgegangen nach Wien?« fragte Werra zögernd, als der Erzähler wieder schweigend in seine Erinnerungen versank und die Zusammenhänge seiner Geschichte immer noch dunkel erschienen. »Verzeihen Sie, ich … ich sollte vielleicht nicht danach fragen, aber eigentlich sind Sie dann doch gar kein Pole. Wenn Ihr Vater Tscheche war und Ihre Mutter stammte aus Wien, Sie selbst lebten in Rumänien – dieses Czernowitz ist doch rumänisch …?«
    »Nicht mehr. Ihr ›Führer‹ hat es vor wenigen Monaten den Sowjets geschenkt.«
    »Mein Gott, ist das kompliziert.«
    »Es ist gar nicht so kompliziert, die Menschen haben es nur so kompliziert gemacht … nicht die Menschen, sondern die Politiker. Die Menschen werden einfach nicht gefragt. Die Menschen haben bei uns immer friedlich gelebt, Rumänen und Ukrainer, Polen und Juden und Deutsche, und wenn in den heißen Sommern bei uns das Getreide geerntet wurde und die Mädchen auf den Feldern sangen – oh, es war schon ein schönes Land, dieses Buchenland am Rand der Karpaten, mit seinen riesigen Wäldern, durch die man stundenlang reiten konnte, ohne einem Menschen zu begegnen …«
    »Und wie kamen Sie in die polnische Armee?«
    »Sie haben recht, ich wollte Ihnen meine Geschichte erzählen. Ich blieb in Czernowitz, weil ich ein Mädchen kennen gelernt hatte. Sie war in Warschau zu Hause, ihr Vater war Chefarzt am Sankt-Lazarus-Hospital, sie selbst studierte Medizin, aber die Semesterferien verbrachte sie immer bei den Eltern ihrer Mutter, die hatten ein Gut in der Nähe von Czernowitz. Es war im letzten Jahr des Krieges, als wir uns verlobten. Die Russen hatten in den Wirtschaftsgebäuden des erzbischöflichen Palastes ein Lazarett eingerichtet, und Nadja blieb, um dort als Hilfsärztin zu arbeiten; damals war ich schon wissenschaftlicher Assistent an der Maschinenbaufakultät der Technischen Hochschule. Das Jahr darauf sind wir dann nach Warschau gezogen, wir hatten ein Haus am Botanischen Garten, meine Frau gab ihren Beruf auf, und ich übernahm die Forschungsabteilung der Uzjadowski-Werke. Das waren die schönsten Jahre meines Lebens … die Arbeit machte Spaß, sonntags zogen wir schon in der Frühe zum Flugplatz, da hatte ich meine viersitzige ›Newa‹ stehen, und dann flogen wir mit den Kindern nach Gora Kalwarja an der Weichsel, wo mein Schwiegervater ein Landhaus gekauft hatte, mit weiten Wiesen, auf denen ungezählte Gänse weideten – manchmal mußten wir eine halbe Stunde kreisen, ehe unsere gute Anuschka den Landeplatz von den aufgeregten weißen Vögeln freigekämmt hatte.«
    Der Verkehr auf der Straße war dichter geworden. Zu beiden Seiten zogen sich jetzt dunkle Häuserzeilen hin, es mußte eine Art Fabrikarbeitervorstadt sein, wahrscheinlich waren es schon die ersten Häuser von Nottingham – genau konnte Werra es nicht feststellen, denn auch hier waren alle Ortsnamen und Straßenschilder entfernt, damit die Deutschen, wenn sie eine Invasion riskierten, sich nicht zurechtfinden sollten.
    Der Major schien an die glücklichen Tage in Warschau zu denken.
    »Und Ihre Frau …« unterbrach Werra das Schweigen, »ist sie noch in Polen?«
    »Tot«, sagte der Major.
    Werra wartete. Die Geschichte konnte noch nicht zu Ende sein.
    »Man hat sie erschossen«, sagte der Major nach einer Weile. »Nadja hatte sich sofort als Ärztin gemeldet, als der deutsche Angriff auf Polen losging. Ich war als Fliegerhauptmann der Reserve eingezogen worden, meine Jagdgruppe lag in Radom, aber unser Flugplatz war schon am zweiten Tag durch Bombenwürfe so umgepflügt, daß wir nicht mehr starten konnten. Was den Deutschen zu tun übrig blieb, war nur noch ein Scheibenschießen.
    Zehn Tage später gelang es mir, aus dem Kessel von Radom herauszukommen und mich nach Warschau durchzuschlagen. Unsere Wohnung war leer, meine Frau arbeitete bei ihrem Vater in der Klinik. Die sonst so elegante Stadt war ein Chaos. Die Luftwaffe warf ihre Bomben unterschiedslos auf Fabriken und Wohnviertel. Von Osten her schoß

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