Einer kam durch
Zuges etwas verlaufen hatte, ging Werra auf den Bahnhofsvorplatz und schaute sich um. Es dauerte nicht lange, bis er einen großen schwarzen Mercedes mit einem CD-Kennzeichen entdeckte. Der Fahrer stand neben dem Wagen und musterte die Leute, die aus dem Bahnhof kamen. Werra in seiner mexikanischen Kluft beachtete er überhaupt nicht. Werra lüftete seinen Sombrero und sagte grinsend: »Grüß Gott!«
Der Fahrer starrte ihn mit offenem Munde an. Dann dämmerte das Verständnis in ihm, und er riß mit einem breiten Lachen die Wagentür auf. »Ich begrüße Sie in Mexiko-City, Herr Oberleutnant«, sagte er.
Werra sank mit einem Aufatmen in die Polster des Sitzes. Er hatte es geschafft. Aber in seine Freude mischte sich auch ein wenig Wehmut, denn das große Abenteuer war jetzt vorbei.
In der deutschen Botschaft in Mexiko-City verwandelte sich Franz von Werra in den Studenten ›Bernd Natus‹. Die Botschaft hatte für Werra einen gefälschten Paß besorgt, der Transitvisen für die mittelamerikanischen Länder sowie für Peru, Bolivien und Brasilien enthielt. Unter seinem richtigen Namen konnte Werra natürlich nicht Weiterreisen, da seine Flucht aus den USA so lange wie möglich geheim gehalten werden mußte. Daher gab es in Mexiko auch keine Presse-Empfänge, keine Interviews und keine öffentlichen Feiern.
Werra verbrachte das Wochenende zurückgezogen auf dem Landgut des deutschen Konsuls in Cuernacava. Er machte einige Einkäufe in dem kleinen Städtchen und suchte Geschenke für seine Braut Elfi aus. Er besuchte einige aztekische Denkmäler und stand staunend vor diesen Zeugen der großen Vergangenheit Mexikos, ihm fielen wieder die Indianerbücher ein, die er als Junge gelesen hatte. Er dachte daran, wie er sich damals danach gesehnt hatte, in dieses Land fahren zu können und nach Schätzen zu suchen. Aber Franz von Werra hatte keine Zeit, nach verborgenen Indianerreichtümern zu graben. »Mein fliegender Teppich hält nirgendwo an«, schrieb er aus Mexiko an seine Braut in Deutschland. Am 1. April flog er von Mexiko nach Peru. Jetzt ging alles sehr schnell. Nach drei Tagen verließ er Lima, wo er wieder beim deutschen Konsul gewohnt hatte, und flog mit einer Ju 52 nach Bolivien. Er verbrachte eine Nacht in der Hauptstadt La Paz. Am 9. April flog er von dort nach Corumba und erreichte Rio de Janeiro einen Tag später.
Sein erster Gang führte ihn zu dem Büro der italienischen Lati-Gesellschaft. Er hatte wie immer Glück. Die Italiener standen kurz davor, wegen der Kriegsverhältnisse ihren Flugverkehr von Südamerika nach Europa einzustellen. Es gelang Werra, für den übernächsten Tag einen Flug nach Barcelona zu buchen. Es war einer der letzten Flüge der Gesellschaft.
Das Savoia-Machetti-Flugboot verließ Rio am 13. April, tankte in Natal an der brasilianischen Küste noch einmal auf, überquerte den Atlantik und machte Zwischenlandung in der spanischen Afrikakolonie Rio de Oro. Es landete am 16. April in Barcelona. Dort wechselte Werra zum letztenmal die Maschine. Am Donnerstag, dem 17. April 1941, langte er in Rom an und betrat zum ersten Mal seit über einem halben Jahr Boden der Achsenmächte. Werra war genau zweiunddreißig Wochen seit seinem Abschuss über England unterwegs gewesen. Seine Odyssee hatte ihn aus den Gefangenenlagern Englands, über den Atlantik nach Kanada, über den vereisten St.-Lorenz-Strom nach den USA, quer durch Nordamerika nach Mexiko, schließlich durch Südamerika und über den Atlantik zurück nach Europa geführt.
Werra war frei. Seine Flucht war gelungen, aber noch durfte niemand etwas davon wissen. Als Bernd Natus flog er mit einer Ju 90 nach Berlin, wo ihn seine Braut und seine Freunde erwarteten.
Auf dem Tempelhofer Flugplatz konnte er Elfi nur flüchtig begrüßen. Ein Adjutant Görings erwartete ihn mit dem Befehl, sich sofort in Karinhall zu melden. Er hatte kaum Zeit, eine Uniform anzulegen.
Werras Rückkehr wurde wie eine geheime Staatssache behandelt. Man wollte die Beziehungen zu Amerika durch eine Bekanntmachung seiner gelungenen Flucht nicht noch mehr belasten. In New York, wo sein Verschwinden inzwischen aufgefallen war, erklärten die deutschen Konsulatsbeamten mit einem Achselzucken: »Werra ist auf einem Jagdausflug.« Ein andermal erklärten sie den amerikanischen Reportern, er sei irgendwo auf dem Lande und schreibe an seinen Memoiren. Aber schließlich platzte die Bombe, allerdings erst am 23. April, fünf Tage nach Werras Ankunft in Deutschland.
Weitere Kostenlose Bücher