Einer kam durch
Ogdensburg vorgeführt, die nach vierstündiger Verhandlung entschieden, daß sie nach Kanada zurückgeschickt werden sollten.
Um einen deutschen Protest zuvorzukommen, veröffentlichte das amerikanische Justizministerium eine Erklärung, in der auf den angeblichen Unterschied zwischen dem Fall Werra und dem Fall Gohlke/Rottmann hingewiesen wurde.
»Von Werra wurde erst festgenommen, als er sich bereits in den Vereinigten Staaten befand«, hieß es in der Erklärung. »Die beiden Marineoffiziere wurden jedoch bereits an der Grenze abgewiesen, weil sie die Voraussetzungen für eine Einreise in die Vereinigten Staaten nicht erfüllten.«
Ein weiterer Satz in der Erklärung gab Werra zu denken. Es hieß da, daß im Justizministerium zur Zeit noch keine Entscheidung darüber gefällt sei, wann und ob Werra an Deutschland oder an Kanada auszuliefern sei.
Für Werra war dies das Menetekel an der Wand.
Die deutsche diplomatische Vertretung in den Vereinigten Staaten befand sich in einer peinlichen Situation. Von Tag zu Tag verstärkten sich die Aussichten, daß die Amerikaner Werra wieder festnehmen und an die Kanadier ausliefern würden. Auf der anderen Seite konnte man Werra nicht außer Landes schaffen, weil eine Kaution hinterlegt worden war. Die deutsche Vertretung – und damit auch die deutsche Regierung – hatte sich hierdurch sozusagen ehrenwörtlich den amerikanischen Behörden gegenüber verpflichtet, für Werras Verbleiben im Hoheitsbereich der amerikanischen Justiz zu sorgen, bis ein endgültiges gerichtliches Urteil über ihn gefällt war.
Die Verhältnisse zwischen Berlin und Washington waren in diesen kühlen Märztagen des Jahres 1941 bereits so angespannt, daß man sie kaum noch größeren Belastungen aussetzen konnte. Das war jedoch unweigerlich der Fall, wenn man offiziell Werra bei einer Flucht aus den USA unterstützte. Als klar wurde, daß die Karten für das letzte Spiel um Werra in Washington bereits ausgeteilt waren und diese für Werra sehr schlecht standen, war seine Flucht aus den Staaten eine beschlossene Sache. Aber die deutsche Botschaft und andere deutsche Stellen in den USA durften offiziell damit nichts zu tun haben. Nach Werras geglückter Flucht erklärten deutsche Diplomaten den amerikanischen Reportern mit verwundertem Augenaufschlag, sie wüssten überhaupt nicht, wo Werra sich aufhalte.
Bereits seit Wochen wurde der Ausreißerkönig Werra vom FBI und von Kriminalbeamten der Stadt New York beschattet. Diesem ›Satanskerl‹, der schon ein paar Mal um Haaresbreite den Engländern entwischt wäre und dem jetzt die Flucht über den vereisten St-Lorenz-Strom gelungen war, traute man ohne weiteres zu, daß er auch Mittel und Wege finden würde, um aus den USA zu entschlüpfen.
Männer in knappen Trenchcoats und großen Schlapphüten, Kaugummi in den Backentaschen, beobachteten Werras Tun und Lassen Tag und Nacht. Wenn er über den Broadway bummelte oder wenn er in der Fifth Avenue ein paar Einkäufe machte, konnte er sicher sein, daß seine ›Schatten‹ in Rufweite hinter ihm waren. Wenn er in einem Restaurant oder in einem Kino saß, konnte er gewiß sein, daß einige Tische oder Sitzreihen weiter seine treuen Begleiter vom FBI hockten.
Am Nachmittag des 24. März 1941 saß er mit einigen Bekannten in einem Restaurant in Brooklyn. Werra war nervös, denn die Zeit brannte ihm auf den Nägeln. Er mußte verschwinden, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, von den Amerikanern an die Kanadier ausgeliefert zu werden. Von der deutschen Botschaft hörte er nichts.
Einer der Bekannten zeigte ihm am Tisch ein paar Fotos von seiner letzten Urlaubsreise. »Schauen Sie sich das einmal genau an«, sagte der Bekannte.
Werra blätterte die Fotos um und fand einen Zettel, auf dem in deutscher Sprache stand: »Hinter dem Wasserbehälter in der Herrentoilette liegt ein Brief für Sie.«
»Nette Bilder«, sagte Werra und grinste seinen Bekannten an. Nach ein paar Minuten entschuldigte er sich und ging zur Toilette. Der Brief lag tatsächlich hinter dem Wasserbehälter. Es war ein weißer Umschlag ohne jede Beschriftung. Er riß das Kuvert auf und fand 1.000 Dollar in kleinen Banknoten. Dabei war ein Zettel ›Alles Gute‹. Weiter nichts. Werra wußte Bescheid.
Er ging in den Speisesaal zurück, bezahlte und verließ mit seinen Bekannten das Lokal. Sie fuhren zusammen in seine Wohnung. Blitzschnell wurde gepackt, und einer seiner Freunde schaffte die Koffer durch den Hintereingang des Hauses
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