Einer kam durch
weg. Mit einem anderen Bekannten verließ Werra die Wohnung, als wolle er noch einen abendlichen Bummel machen. An der nächsten Straßenecke bestiegen sie ein Taxi und ließen sich zu einem Luxus-Restaurant fahren, das sie durch den Hinterausgang gleich wieder verließen. Sie fuhren ein Stück mit der Subway, fuhren dann wieder in der gleichen Richtung zurück, bestiegen wieder ein Taxi, ließen sich zum Hafen fahren, fuhren mit einem anderen Taxi zurück und erreichten schließlich den Bahnhof. Die sonst so quicken ›Schatten‹ vom FBI waren abgeschüttelt worden. Werra kaufte sich eine Fahrkarte nach Richmond in Virginia. Er zog seinen Hut tief in die Stirn, ließ die Koffer in sein Abteil schaffen, schüttelte seinen Bekannten die Hände und verließ New York, ohne daß die amerikanischen Behörden auch nur das geringste merkten. Werra hatte seine letzte große Reise angetreten, die ihn um den halben Erdball führen sollte.
Der stahlblaue Himmel von Texas wölbte sich wie ein Glasdom über den braunen Wassern des Rio Grande, als Werra am frühen Morgen des 26. März 1941 in der amerikanischen Grenzstadt El Paso eintraf. Bisher war alles gut gegangen. Die nächsten vierundzwanzig Stunden würden darüber entscheiden, ob ihm seine letzte Flucht gelang oder ob ihm, dem ewig Glücklichen, das Schicksal einen saftigen Streich spielte.
Er ließ die Koffer auf dem Bahnhof – von wo er sie nie mehr abholte – und ging zum Fluss hinunter, der die Grenze zwischen den USA und Mexiko bildet. Drüben auf der anderen Seite lag das Land der Indios, in dem endgültig die Freiheit für ihn winkte.
Auf dem nördlichen Ufer des Rio Grande liegt El Paso, auf dem südlichen die mexikanische Stadt Ciudad Juarez. Beide Städte sind durch zwei Brücken miteinander verbunden, die Santa-Fé-Brücke und die Stanton-Brücke. Werra wußte, daß er über eine dieser beiden Brücken hinüber mußte, wenn er nach Mexiko wollte. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, da die Ufer des Rio Grande stets wachsam von amerikanischer Grenzpolizei beobachtet werden, um illegale mexikanische Einwanderer abzufangen.
Werra wußte, daß die Kontrolle auf beiden Brücken durch die amerikanische Grenzpolizei sehr scharf gehandhabt wird. Die einzigen, bei denen es mit der Kontrolle nicht so genau genommen wird, sind die mexikanischen Tagelöhner aus Ciudad Juárez, die in El Paso arbeiten und an jedem Morgen über die Grenze kommen.
Werra beobachtete gespannt das Treiben auf der Santa-Fé-Brücke. Er sah, wie gegen sechs Uhr morgens die mexikanischen Peones in Scharen nach El Paso strömten. Die amerikanischen Grenzbeamten kontrollierten ein paar Ausweise, meistens von den Mexikanern, die irgendwelches Gepäck dabei hatten. Ein paar mexikanische Fuhrwerke, hochbeladen mit Gemüse und Obst, kamen ebenfalls über die Brücke. Die amerikanischen Polizisten nickten den Fuhrmännern zu, ohne daß sie die Papiere kontrollierten.
Werra dachte an seinen piekfeinen Aufzug und wußte, so konnte er nicht über die Grenze kommen. Er trug einen hellgrauen Maßanzug und einen leichten Übergangsmantel. Seine Krawatte war aus einem der ersten New Yorker Geschäfte. Er ging in die Stadt zurück und kaufte in einem kleinen Laden eine mexikanische Leinenhose, ein grobes Hemd, eine Arbeiterjacke, ein paar Sandalen, einen Poncho und einen breitkrempigen Strohhut. Mit dem Paket unter dem Arm schlenderte er in einen Park. In einem versteckten Gebüsch zog er sich um. Er hatte vorher die neuerstandene mexikanische Kluft ein paar Mal durch den Dreck gezogen, um sie standesgemäßer zu machen. Er rollte seinen New Yorker Anzug und die anderen Dinge, die er nicht mitnehmen konnte, zu einem Bündel zusammen und ließ es im Gebüsch liegen. Er mußte grinsen, wenn er daran dachte, welche Augen der Parkwächter machen würde, wenn er die funkelnagelneuen Sachen fand. Er steckte seine Papiere und sein Geld in die Tasche des Leinenanzugs und kehrte zur Santa-Fé-Brücke zurück. Er aß in einem kleinen Restaurant, und dann war er bereit für sein letztes Abenteuer.
In hellen Scharen strömten am späten Nachmittag die mexikanischen Arbeiter nach Ciudad Juarez zurück. Werra stand ein paar Dutzend Schritte entfernt von der Brücke und rauchte. Für jeden unbefangenen Beobachter war er ein waschechter Mexikaner. Er durfte nur seinen Mund nicht aufmachen, denn seine spanischen Kenntnisse beschränkten sich auf ›Buenos dias‹ und ›Muchas gracias‹. Die Gelegenheit, über die
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