Einer kam durch
britischen ›Royal Airforce Intelligence Service‹, und die Agenten, die hier arbeiteten, verschwendeten wahrhaftig keine Zeit. Sie ließen in den nächsten vierzehn Tagen kein Mittel unversucht, um seinen Widerstand zu brechen. Sie schmeichelten, drohten, lockten und versuchten ihn zu bestechen. Bald war es ein einzelner Flieger der RAF, in dessen Zimmer er geführt wurde, ›zu einem gemütlichen Fliegergespräch unter vier Augen‹. Whisky und Zigaretten standen auf dem Tisch. »Bedienen Sie sich, alter Junge, nehmen Sie doch selber! Nur keine Förmlichkeiten!« Er verzichtete dankend, saß mit zusammengepressten Lippen vor seinem Gegenüber, bis er abgeführt wurde. Dann stürmte eine Gruppe von jungen Offizieren nachts in seine Zelle; sie entführten ihn in ein gemütliches Kasinozimmer. Ein paar schienen angeheitert; einer sagte augenzwinkernd: »Der Alte ist fort. Schrecklicher Kerl, was? Na, wir sind nicht so. Wir dachten, daß es Ihnen Spaß macht, ein bißchen zu feiern!« Er trank mäßig, lächelte – und schwieg. Wieder an einem anderen Tag erschien ein Kerl mit Melone auf dem Hinterkopf, Zivilanzug, die brennende Zigarre im Mund, anzuschauen wie eine Figur aus dem Witzblatt ›Punch‹. »Ich habe hier eine Reihe von Feldpostnummern. Wir wissen, daß Sie nichts sagen. Aber Sie brauchen auch nichts zu sagen. Blinzeln Sie einfach, wenn Ihre Nummer kommt. Dann haben Sie nichts gesagt.« Er las die Nummern vor. Werra blinzelte nicht. Der Mann mit der Melone sagte: »Hören Sie, ich könnte Sie mal einen Abend mit nach London nehmen. Westend, verstehen Sie. Theater, ein kleines Dinner, nette Mädchen, Nachtclub. Läßt sich alles arrangieren. Sie könnten auch mal ein bißchen mit 'nem Mädchen allein sein. Ich lese jetzt die Nummern nochmals vor. Blinzeln Sie, Mann!« Werra blinzelte nicht und lernte somit weder das Londoner Nightlife noch die netten Mädchen in den Chambres separées des Westend kennen.
»Wie ist es – wollen Sie nicht mit einem anderen zusammenziehen?« lautete das nächste Angebot eines Vernehmungsoffiziers. »Mit einem deutschen Kameraden? Die Einzelhaft muß doch blödsinnig langweilig sein! Wenn Ihnen einer aus meiner Liste besonders lieb ist, brauchen Sie es nur zu sagen!« Der vernehmende Offizier las eine lange Liste von Namen vor. Etwa ein Dutzend dieser Namen war Werra bekannt. Doch er hütete sich, es zu zeigen. Langsam und gleichgültig sagte er: »Och, geben Sie mir irgendeinen Kameraden. Mir ist jeder recht!«
Der Offizier sah ihn einen Augenblick scharf an. Dann flog ein Lächeln über sein Gesicht. »So, irgendeinen? Na, ich glaube, ich habe einen Kameraden, der Ihnen zusagt. Armer Teufel, er scheint nicht ganz klar im Kopf zu sein. Kommen Sie!«
Offenbar wollten sie ihn jetzt mit einem Verrückten in eine Zelle sperren. Oder war auch das wieder nur eine Finte? Ein Posten wurde weggeschickt, um Werras Sachen zu holen. Dann ging es durch lange Korridore und über viele Treppen in einen anderen Teil des Gebäudes. Aber ehe Werra seinem neuen Zellenkameraden vorgeführt wurde, mußte er draußen vor der Tür warten. Der Vernehmungsoffizier ging in das Zimmer, stellte sich mit dem Rücken ans Fenster, daß er die Zelle übersehen konnte und die Gesichter der Gefangenen im Licht hatte.
»In Ordnung, Corporal, bringen Sie ihn rein!«
Der englische Offizier am Fenster studierte scharf die Gesichter der beiden Gefangenen. Werra biss die Zähne aufeinander und zeigte nichts, obwohl sein Herz einen kleinen Sprung tat. Denn wer hier vor ihm stand, war nicht ein Offizier mit einem Dachschaden – nein, es war Karl Westerhoff, das dicke Karlchen, einer seiner besten Kameraden im Geschwader. Jetzt erinnerte er sich auch, Westerhoffs Namen gehört zu haben, als der Offizier ihm die Liste der Gefangenen vorgelesen hatte. Natürlich hätte er sich Karlchen als Zellengenossen gewählt. Aber ebenso natürlich war hinter dieser freundlichen Geste der Engländer wieder irgendein verdammter Trick.
Um seinem Freund ein Zeichen zu geben, riß er sich zusammen, knallte mit den Hacken, grüßte zackig und stellte sich vor, als ob Westerhoff ein völlig Fremder sei. »Heil Hitler. Oberleutnant von Werra. Jagdflieger!«
Aber das dicke Karlchen Westerhoff verstand sich leider nicht auf die Künste der Psychologie. Er dachte nicht daran, seine freudige Überraschung zu verbergen, er staunte mit offenem Mund und sagte harmlos und erfreut: »Sonny! Mensch, das ist aber eine Überraschung in
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