Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
Vom Netzwerk:
erreicht. Das Blut hämmerte in seinen Schläfen, sein Atem pfiff, die Beine zitterten ihm vor Anstrengung.
    Er hatte hundertdreißig Meter Höhe gewonnen, seitdem er die Straße verlassen hatte. Hinter einem Baum geduckt, sah er zurück. Nirgendwo eine Bewegung im Gehölz. Nur das leise Raunen der Baumwipfel war da, sein pfeifender Atem und das klopfende Herz. Es roch nach Tannen, nach zerquetschten Farnstengeln und feuchter Erde.
    Weiter ging es, er hätte am liebsten dabei gesungen, so wohl fühlte er sich! Hinunter in einen Einschnitt, über einen dicken, federnden Nadelteppich hinweg – wieder einen Hang hinauf … wieder hinunter in eine tiefere Senke, durch die ein Bach floß … wieder in die Höhe … Endlich hatte er sein erstes Ziel erreicht: den Westrand des Waldes.
    Er blieb stehen und blickte sich um. So weit sein Auge blickte, ein steiniges Hochmoor, ohne das geringste Zeichen von Leben; nur das verlorene Blöken von Kühen in einer Senke war zu hören, daneben Schrei und Flügelschlag eines abstreichenden Regenpfeifers.
    Weiter! Nach Süden! Immer am Waldrand entlang! Noch brauchte er Karte und Kompass nicht.
    Sein zweites Ziel war eine Baumgruppe, die wie ein Finger weit in das Moor hineinragte. Er drang etwas tiefer in den Wald ein, fand ein brauchbares Dickicht und versteckte sich, um den Anbruch der Nacht abzuwarten. Seine Uhr zeigte zwanzig Minuten vor fünf. Nach seinen Berechnungen ging die Sonne erst um 6.23 Uhr unter. Er atmete schwer, sein Hemd klebte am Leibe; aber er fühlte keine Müdigkeit, nur ein wenig Durst.
    Eine Stunde später begann es zu regnen. In den nächsten fünf Tagen und Nächten sollte der Regen nur selten aufhören …
    ***
    Werras Kameraden waren in großartiger Stimmung von dem Rastplatz bei High Bowkerstead abgerückt. Überrascht sahen die Posten auf, als die Gefangenen unmittelbar nach dem Aufbruch lauthals zu singen begannen, denn Marschlieder waren im Lager verboten.
    Und damit begann das Durcheinander.
    Erst brüllte der Sergeant. Als er nichts erreichte, brüllte der Offizier, räusperte sich, brüllte wieder und schwang drohend sein Stöckchen.
    Die vier Posten an der Spitze zeigten unbehagliche Aufregung und schlugen an ihre Waffen. Umsonst! Die Gefangenen sangen weiter. Obendrein begannen sie das Tempo zu beschleunigen. Sie drängten die Wachposten geradezu voran. Wiederholte Befehle, mit dem Gesang aufzuhören, wurden nicht befolgt.
    Der Sergeant ritt die Kolonne auf und ab und versuchte seine Schäfchen zu zählen. Aber die Deutschen richteten sich nach der Taktik, die Werra erfunden hatte, und wechselten dauernd zwischen den Gliedern hin und her. Es war praktisch unmöglich, ihre Zahl festzustellen.
    Der Sergeant ritt zu dem Offizier, besprach sich mit ihm, gab den Posten am Anfang und Ende der Kolonne einen Befehl und setzte sich selbst an die Spitze.
    Mit gezogenem Revolver brüllte er: »Halt!«
    Im gleichen Augenblick machten die Posten vorne kehrt, zogen sich auseinander und nahmen die Gewehre hoch. Die Posten am Ende der Kolonne machten es genauso.
    Die Gefangenen hielten.
    Sie hatten gerade einen Punkt südlich des Dorfes Satterswaithe erreicht, keine zweihundert Meter von einer öffentlichen Telefonzelle entfernt. Der Offizier ging langsam an der Kolonne entlang und zählte. Statt vierundzwanzig waren es nur noch dreiundzwanzig Deutsche!
    Er hatte es beinahe erwartet. Zur Vorsicht zählte er nochmals zurück. Diesmal mit Hilfe des Sergeanten. Wieder das gleiche Ergebnis. 23 Gefangene. Einer war ausgerissen!
    In der allgemeinen Bestürzung dachte niemand an die Telefonzelle. Statt dessen wurde der Sergeant die Straße zurückgeschickt. Er sollte nach dem Flüchtling Ausschau halten.
    Dann befahl der Offizier den Weitermarsch. Wieder zeigte sich der Korpsgeist der 23 Mann. Hatten sie gerade noch den Marsch nach Kräften beschleunigt, so bummelten sie jetzt. Die Posten legten einen Zahn zu, aber die Gefangenen ließen sich nicht drängen. Doch dann kam die Telefonzelle in Sicht, und nun half keine Kriegslist mehr. Der Offizier eilte voraus und rief das Lager an.
    Alarm!
    Zehn Minuten später knatterten LKWs aus Grizedale Hall an der Kolonne vorbei. Ein Lastwagen hielt hundert Meter vor den Gefangenen, Soldaten mit Karabinern umstellten die ganze Kolonne.
    »Laufschritt marsch-marsch!« befahl der Offizier. Den Rest des Weges legten die Gefangenen im Laufschritt zurück, ob sie wollten oder nicht.
    Inzwischen waren die Namen der ausgeführten

Weitere Kostenlose Bücher