Einer kam durch
Offiziere im Lager festgestellt worden. Der britische Lagerkommandant hatte ihre Papiere vor sich liegen. Sie wurden sofort einzeln vorgeführt und identifiziert; nach wenigen Minuten stand fest, daß der fehlende P.O.W. ein Oberleutnant namens Franz von Werra war. Sofort wurden seine Personalien der Polizei durchgegeben.
Hauptmann Pohle, der die Kolonne angeführt hatte, mußte zu einem unangenehmen Verhör zum Lagerkommandanten. Er sagte, er wisse von nichts. Das war nicht ganz die Wahrheit, doch man konnte ihm nichts beweisen.
Es wurde eine unruhige Nacht im Lager. Fahrzeuge kamen und gingen, Telefone rasselten. In den Unterkünften der Gefangenen erklangen Soldatenlieder, fröhliches Geschrei, Füßestampfen und Händeklatschen bis tief in die Nacht.
Der berittene Sergeant war inzwischen in gestrecktem Galopp zu jenem Knick der Straße zurückgekehrt, wo die Kolonne gerastet hatte. Ein Instinkt sagte ihm, daß es dem Gefangenen an dieser Stelle geglückt sein mußte, zu entfliehen – obwohl er sich nicht vorstellen konnte, wie er es gemacht hatte. Da war die Mauer, der zertretene Grund, ein Apfelbutzen lag auf dem Boden, neben den Hufspuren des Pferdes. Er blickte sich um und sah die Frauen.
»Haben Sie einen deutschen Kriegsgefangenen gesehen, Ma'am?« fragte er die ältere der beiden.
Die beiden Frauen waren wütend. Erst entdeckt man den Ausbruch eines Gefangenen, meldet ihn, die Soldaten achten nicht darauf, lassen einen vielmehr mit einem solchen Kerl allein auf weiter Flur – und jetzt kommt so ein Sergeant angeritten und fragt, ob man einen Gefangenen gesehen habe.
»Allerdings«, sagte die ältere. »Und wir haben laut genug geschrien. Aber ihr habt ja offenbar Watte in den Ohren.«
Der Sergeant tat einen tiefen Atemzug. »Deswegen haben Sie gerufen! Und wir dachten …« Er verschluckte, was er gedacht hatte.
»Sie dachten?« sagte die jüngere spitz. »Ich habe mich schon gefragt, ob ein Mann wie Sie überhaupt denkt. Wenn Sie meine Meinung wissen wollen …«
Aber der Sergeant wollte ihre Meinung nicht wissen. »Ma'am«, sagte er, »ein Gefangener ist ausgebrochen. Streiten wir nicht. Sie haben ihn gesehen, ja?«
»Er ist uns beinahe auf die Füße getreten.«
»Wohin ist er geflohen?«
»Über den Weg, durch die Hecke und in den Wald hinein. Bergan …«
»Thanks, Ma'am«, murmelte der Sergeant, gab seinem Ross die Sporen und ging die Hecke an. Er machte eine gute Figur, als er die Nußhecke passierte – er machte keine so gute Figur mehr, als er drei Minuten später auf dem gleichen Weg zurückkehrte und in vollem Galopp an den beiden Frauen vorbei nach Satterswaithe zurückpreschte. Seine Mütze fehlte, sein Gesicht war verschrammt, seine Hand blutete und in seiner Uniform klaffte ein Riß. Der Wald hatte ihm übel mitgespielt. Er war entschlossen, Verstärkung herbeizuholen …
Dienstwagen, Lkws, MG-Kübel und Kräder rasten durch Satterswaithe, erst in der einen, dann in der entgegengesetzten Richtung. Eine sichtbare Konfusion hatte Werras Verfolger gepackt. Wachposten des Lagers suchten jeden Haushalt der Nachbarschaft auf und erklärten den Bewohnern, daß ein gefährlicher Nazi entflohen sei, der vor nichts zurückschrecken würde, um sich mit Lebensmitteln, Kleidung und Geld zu versehen.
Die Dörfler erhielten den Rat, ihre Häuser gut zu verschließen. Frauen, sagten die Warner, blieben besser der Straße fern, bis der Mann wieder eingebracht worden sei!
Obwohl die Flucht in Lancashire stattfand, wurde die Polizei der benachbarten Distrikte Westmorland, Cumberland und Yorkshire ebenfalls alarmiert. Um fünf Uhr dreißig lief die Jagd bereits auf vollen Touren. Polizei, Sonderkommandos und Home Guards lösten die Soldaten der Lagerwache ab, die anfangs losgejagt waren, um das Gebiet einzukreisen. Die Männer kehrten ins Lager zurück und wurden in direkten Suchaktionen eingesetzt.
Zwischen fünf und sechs Uhr standen Soldaten auf der ganzen Strecke zwischen der Straßenbiegung und dem Dorf bereit, um den Wald zu durchkämmen. Sie standen im Regen, froren und warteten grimmig.
»Warum fangen wir nicht an, den Wald zu durchsuchen?« murrte einer von ihnen. »Der Kerl kann ja inzwischen bis zur Küste kommen.«
»Halt's Maul«, erwiderte ein anderer. »Die Bluthunde müssen erst geholt werden. Sie sollen die Spur aufnehmen.«
Die Bluthunde kamen von der Polizeistation Preston – riesige, gutmütige Tiere mit faltigen Gesichtern und empfindlichen Nasen. Sie wurden
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