Einer kam durch
stößt mich mit dem Ellbogen an, sobald die Aufmerksamkeit der Posten abgelenkt worden ist. Das ist das Signal, mich fallen zu lassen. Dann renne ich gebückt bis zu der nicht eingesehenen Senke, kreuze schnell die Straße und verschwinde so schnell und so weit wie möglich im Wald.
Sobald ich von der Mauer herunter bin, müssen die acht Kameraden, die mich gedeckt haben, ein wenig auseinanderrücken, daß die Posten zwischen ihnen hindurchsehen können. Wenn das unauffällig gemacht wird, sehe ich keinen Grund, warum die Tommies mißtrauisch werden sollten.
Beim Übersteigen der Mauer gibt es nur noch eine Gefahrenquelle – den berittenen Sergeanten, der genau gegenüber auf der anderen Straßenseite postiert ist und der von dem Sattel herab vielleicht über die Köpfe der Deckungsmannschaft eine Bewegung erkennen kann. Nun haben sich aber verschiedene von uns angewöhnt, vor und nach dem Ausmarsch das Pferd zu streicheln. Besonders Leutnant Glaser ist dem Sergeanten als Pferdenarr bekannt. Um einen Versuch zu machen, ging Leutnant Glaser vorgestern gleich beim Haltebefehl über die Straße und streichelte das Pferd. Der Sergeant ließ ihn eine Weile gewähren, ehe er ihn zurückschickte. Inzwischen war aber seine Aufmerksamkeit von den Gefangenen abgelenkt worden. Ich sehe keinen Grund, warum es beim nächstenmal anders sein sollte.
Gepäck kann ich natürlich nicht mitnehmen. Was ich brauche, muß ich in den Taschen verstauen. Ich werde daher nur Rasierzeug einstecken, um nicht durch verwahrlostes Aussehen aufzufallen, wenn ich einen Hafen an der Westküste erreiche. Ich werde versuchen, als blinder Passagier auf ein neutrales Schiff zu kommen, oder Irland zu erreichen. Die Nahrungsfrage ist die schwierigste. Ich habe bereits meine Schokoladezuteilung als eiserne Ration aufgespart. Darüber hinaus muß ich mich auf mein Geschick verlassen und auf das englische Geld, das ich mir besorgt habe. Ich werde schnell marschieren müssen und, obwohl es um diese Jahreszeit hier dauernd regnet, weder Mantel noch Regenmantel mitnehmen. Beide würden sich nur als hinderlich erweisen. Einen kleinen, selbstgemachten Kompass habe ich mir bereits besorgt. Oberleutnant Perchermeier, der im Zivilberuf technischer Zeichner ist, hat mir eine Karte von dieser Gegend und von Nordirland angefertigt. Sie wird nicht übermäßig genau sein; aber sie enthält alles, was wir an Kenntnissen zusammentragen konnten. Oberleutnant Perchermeier hat eine Kopie für späteren Gebrauch zurückbehalten.«
Als Werra geendet hatte, entstand eine kurze Pause. Die drei Mitglieder des Ältestenrates sahen sich schweigend an. Schließlich sagte Major Fanelsa:
»Ich sehe, daß Sie sich die Sache ernsthaft durchdacht haben, Werra. Bravo! Die Schwierigkeiten sind Ihnen auch klar. Nach Ihrer Schilderung scheint die Sache auch möglich zu sein. Aber Sie müssen sich auch darüber klar sein, daß Sie – wenn Sie die Küste tatsächlich erreichen – kein seetüchtiges Fahrzeug vorfinden werden, das Sie mieten oder organisieren können! Seit die Invasion droht, haben die Eigentümer Befehl bekommen, ihre Schiffe festzulegen. Ihre einzige Chance ist, einen Hafen zu erreichen und auf ein neutrales Schiff zu gehen. Was meinen Sie, Lott?«
»Das Gelände bis zur Küste«, erklärte Lott, »ist ausgesprochen schwierig. Es geht die ganze Strecke bergauf und bergab. Die Hügel sind steil und nackt, und Ihre einzige Deckung sind die steinernen Mauern, die Sie überall an den Feldrändern finden werden. Die Täler sind teilweise dicht von Steinen und Felsbrocken umsäumt; dazu werden Sie größere Strecken Morast überschreiten und verschiedene Flüsse durchschwimmen müssen. Sie müssen daher die stabilsten Sachen mitnehmen, die wir auftreiben können. Im Lager ist ein U-Boot-Offizier, der noch eine dicke Lederhose versteckt hat. Die können wir Ihnen wahrscheinlich besorgen … sie ist für Ihren Zweck ideal. Dazu ein Paar Seestiefel.«
»Die Hose nehme ich dankbar an«, sagte Werra, »aber meine eigenen Stiefel sind noch fast neu und gut eingelaufen. Ich glaube, es ist das beste, wenn ich sie für die Flucht behalte.«
»Das beste ist es, Werra«, sagte Major Fanelsa, »wenn Sie gleich in der ersten Nacht versuchen, den Fluss im Süden von Coniston Water zu überqueren und dann restlos untertauchen. Halten Sie sich in den Bergen und meiden Sie Dörfer und Farmen wie die Pest. Schlafen Sie am Tag und marschieren Sie nur in der Nacht.«
Dieses Gespräch
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