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Einer kam durch

Titel: Einer kam durch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: von Werra Franz
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zum einfachen Soldaten, waren sichtbar angewidert von dem Schauspiel. Sich vorzustellen, daß es Mädchen in Lancashire gab, die sich mit deutschen Gefangenen verbrüdern wollten!
    »Miststücke!« sagte der wachhabende Offizier. »Man sollte sie … Los, Sergeant, lassen Sie endlich abrücken. Auf was warten wir noch? Was für ein abgeschmacktes Schauspiel!«
    Die Gefangenen winkten, die Frauen riefen zurück. Was sie riefen, war nicht zu verstehen. Die Engländer waren froh darüber. Eine Minute später war die Kolonne hinter der Straßenbiegung verschwunden.
    Die Frauen hatten keine Kosenamen gerufen. Sie hatten versucht, dem englischen Offizier der Wache klarzumachen, daß soeben einer seiner Gefangenen die Mauer überstiegen und sich selbständig gemacht hatte. Atemlos und gebannt starrten sie auf die Gestalt des Mannes, der in geduckter Haltung an der Wiesenseite der Mauer entlanglief. Sie hatten entsetzliche Angst vor ihm …
    ***
    In dem Augenblick, da Oberleutnant von Werra sich seitlich von der Bruchsteinmauer rollen ließ, hatte seine Flucht begonnen. Praktisch war er jetzt ein freier Mann – und praktisch stand es jedem Engländer frei, ihm eine Kugel in den Leib zu jagen. Hinter ihm, nur durch die Breite der Mauer getrennt, standen seine Kameraden, standen die englischen Fußsoldaten, saß der Sergeant auf seinem Pferd.
    Nach dem Sprung schmiegte sich Werra einen Augenblick an die Mauer und lauschte. Drüben murmelten die Gefangenen weiter, zwei Posten unterhielten sich im schnarrenden Cockney, das Pferd schnaubte. Er erhob sich und glitt geduckt an dem Steinwall entlang auf jene Senke zu, wo die Straße dem Blick der Posten entzogen war. Dort mußte er sie überqueren, um das Waldstück zu gewinnen. Erst dann konnte er sagen, daß der erste Teil der Flucht geglückt war.
    In diesem Augenblick hörte er das entfernte Rufen der beiden Frauen, und im nächsten Moment brach jenseits der Steinmauer ein Höllenkonzert los. Schrille Pfiffe, Jodeln, das Trampeln von Füßen, aufgeregtes Gelächter der Gefangenen. Was war los? Riefen sie ihn? Sollte er zurückkehren? Hatte einer der Posten die Flucht entdeckt?
    Er wagte nicht, zurückzublicken. In langen Sätzen jagte er an dem Steinwall entlang, jede Sekunde gewärtig, das Aufpeitschen eines Karabinerschusses zu hören. Werra hatte nie besonderes Verlangen nach dem Infanteriekrieg verspürt; er war Jagdflieger und fühlte sich eigentlich nur glücklich in der engen Kanzel einer schnellen Maschine. Dieses Hüpfen über ein offenes Gelände vor den Gewehren seiner Bewacher war ihm unheimlich. Er wagte nicht zurückzublicken, er wagte nicht anzuhalten. Weiter, weiter! Warum, verdammt noch mal, machten die dreiundzwanzig Kameraden so einen Krach? Was sollte der Spuk bedeuten?
    Er erfuhr erst später, daß sie ihm mit ihrem Jodeln, Pfeifen und Taschentuchschwenken das Leben retteten.
    Einen Augenblick blieb er stehen, dicht an die Mauer gepresst. Sein Herz, das hoch und schnell im Hals geschlagen hatte, wurde wieder ruhig.
    Alles war in Ordnung. Die Kolonne der Gefangenen entfernte sich, ihr Singen klang schwächer. Der Gemüsehändler mit seinem Karren war außer Sichtweite. Das Land war leer.
    Er legte die Hände auf die Mauer und schwang sich hinüber. Irrtum, das Land war doch nicht ganz leer. Dort drüben standen zwei Frauen. Sie starrten mit allen Anzeichen des Entsetzens zu ihm hinüber, und sie klammerten sich aneinander wie zwei kleine Mädchen in einem fremden Garten.
    Werra begriff sofort: Die beiden hatten seine Flucht beobachtet und nun fürchteten sie sich vor ihm, dem bösen entsprungenen Nazi-Prisoner.
    Der alte Lausbub erwachte in ihm, er verneigte sich, grüßte militärisch, und als sie ihn immer noch aus weitaufgerissenen Augen anstarrten, schickte er ihnen eine Kusshand durch die Luft. Dann aber beendete er diesen Flirt schleunigst und machte, daß er davonkam. Er lief über die Straße, zwängte sich durch das Gebüsch auf der anderen Seite und tauchte im Wald unter.
    Einmal blieb er stehen und lauschte. Von weither kam das Lied seiner Kameraden. Sie sangen stur und unaufhörlich die gleiche Strophe von ›Es ist so schön, Soldat zu sein!‹
    Es war das ausgemachte Signal. Solange sie dieses Lied sangen, sandten sie ihm eine Botschaft: »Hau ab, Mensch. Deine Flucht ist noch nicht entdeckt!«
    Er machte, daß er weiterkam.
    Bald hatte er das dichte Unterholz verlassen und kam in den Nadelwald.
    Endlich hatte er die Kuppe des Hügels

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