Einer kam durch
fand genau einen Monat nach Werras Abschuss statt.
Über die Mauer und in die Wälder
Zwei Tage später, am Montag, dem 7. Oktober 1940, marschierte der Oberleutnant von Werra mit dreiundzwanzig anderen Offizieren, die von Hauptmann Pohle geführt wurden, um zwei Uhr nachmittags von Grizedale Hall nach Süden. Inzwischen hatte nämlich Major Fanelsa die britische Lagerleitung gebeten, die Ausmärsche von 10.30 Uhr auf 14 Uhr zu verlegen, da die Morgenausmärsche den Unterricht störten. Der wirkliche Grund war, daß Werra, wenn er erst um 14 Uhr ausriss, nur drei statt sieben Stunden auf die Dunkelheit warten mußte, in der er sich mit größerer Sicherheit bewegen konnte.
Seinen Verfolgern aber standen entsprechend weniger Tagesstunden zur Jagd auf den Ausreißer zur Verfügung.
Die Gefangenen wurden von einem britischen Offizier, zwei Unteroffizieren (einer davon beritten) und sieben Mann begleitet. Die Bewacher trugen Revolver oder Karabiner. Es ist der britischen Lagerleitung nie gelungen, herauszufinden, wer an diesem Tage den Befehl gegeben hat, nach Süden zu marschieren. Der berittene Sergeant, der meist den Ausmarsch leitete, erklärte später, er habe keinen Befehl gegeben, weil ein Offizier dabei war. Der Offizier hatte ebenfalls keinen Befehl gegeben. Tatsächlich kam der ›Befehl‹ von dem deutschen Hauptmann Pohle. Die britischen Soldaten an der Spitze der Kolonne kamen gar nicht auf den Gedanken, daß einer der deutschen Gefangenen den Befehl erteilt haben könnte. Sie bogen daher gehorsam nach Süden ein.
Die Kolonne passierte das Dorf Satterthwaite und erreichte zehn Minuten später die Straßenbiegung von High Bowkerstead, wo gewöhnlich gerastet wurde. Kaum hatte Werra die Biegung erreicht und nach Süden gesehen, als sein Herz beinahe stehen blieb! Das einzig Unvorhergesehene war eingetreten!
Bei allen bisherigen Ausmärschen hatte er immer nur wenige Menschen gesichtet und kaum je einen Wagen oder ein Auto. Ausgerechnet an diesem Tag aber kam ihnen ein Mann mit einem Pferdekarren langsam entgegen. Er war noch ein paar Hundert Meter entfernt.
Die Kolonne hielt. Die Bewachungsmannschaft nahm ihren Platz auf der anderen Straßenseite ein, die Gefangenen traten zur Mauer. Der Sergeant hielt wie immer vor dem großen Felsblock am Straßenrand, der Offizier stand dicht neben ihm. Der Sergeant schickte auch sofort den Gefangenen zurück, der das Pferd streicheln und dabei den Reiter ablenken sollte.
Werra wagte nicht, sich zu bewegen, da er unweigerlich von dem Fuhrwerksbegleiter auf der anderen Seite der Mauer gesehen werden mußte.
Trotzdem stellte er sich zurecht und wartete, krank vor Erregung und Enttäuschung. Die Minuten vergingen. Pferd und Wagen näherten sich im Schneckentempo. Werra hätte zerspringen können vor Wut.
Als der Karren herangekommen war, sah man, daß er mit Früchten und Gemüse beladen war. Der Fahrer des Wagens war der Gemüsehändler des Dorfes – aber statt Werras Plan unmöglich zu machen, half er ihm nun dabei. Denn er bot die beste Ablenkung für die Soldaten, die man sich denken konnte. Als der Karren zwischen den Gefangenen und der Wache durchrollte, zog Werra sich auf die Mauer, duckte sich so gut wie möglich dabei und legte sich dann auf die Röcke, mit denen die lockeren Steine bedeckt waren.
Er wurde jetzt völlig von den Kameraden verdeckt.
Einen Augenblick später stieß ihn ein Ellenbogen an. Im gleichen Moment rollte er auf die Seite und ließ sich auf die Wiese fallen. Es klappte großartig. Er landete glatt auf Zehen und Handflächen. Kein Geräusch übertönte die Gespräche der PWs. Kein Stein wurde locker. Mit der Erlaubnis des Offiziers hatte der Sergeant den Wagen angehalten und kaufte sich ein paar Äpfel – von denen sein Pferd gleich einen mit bekam. Auch einige der Wachtposten kauften Früchte. Als der Gemüsehändler endlich weiterzog, waren von den zehn Minuten Pause acht vergangen. Der Sergeant ließ wieder antreten. Die Wachen traten an den Anfang und das Ende der Kolonne. Als der Marschbefehl gegeben wurde, hörte man plötzlich aus weiter Ferne lautes Rufen.
Etwa fünfhundert Meter entfernt standen zwei Frauen auf der Straße, schrien und winkten mit ihren Taschentüchern. Mit großer Geistesgegenwart winkte Hauptmann Pohle zurück. Andere Offiziere folgten seinem Beispiel. Es sah aus, als winkten die beiden Frauen den gefangenen Deutschen, als hätten sie sich mit ihnen verabredet.
Die englischen Wachen, vom Offizier bis
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