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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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berichtet hatte. Sobald die Erinnerung zurückgekehrt war, sprang er aus dem Bett, erledigte in Windeseile seine Morgentoilette und war in wenigen Sekunden angezogen. In seinem Kopf nahm eine neue Idee Gestalt an, deren Elemente er jetzt aneinanderreihen und eines nach dem anderen beweisen musste.
    Nachdem er sein Frühstück hinuntergeschlungen hatte, gab es nur ein kurzes Gespräch mit Scuff, einen flüchtigen Moment, in dem sich seine und Hesters Blicke begegneten und er ihre Wange berührte, dann stürmte er zur Tür hinaus.
    Während die Fähre in ihrem eigenen Rhythmus durch das Wasser zum anderen Ufer des Flusses pflügte, drehten sich seine Gedanken um die neueste Enthüllung und ihre möglichen Auswirkungen. An Hesters Wort hatte er nicht den geringsten Zweifel, später wollte er diese junge Frau selbst aufsuchen und sich vergewissern, dass sie ihre Aussage aus eigenem Antrieb gemacht und niemand sie dabei beeinflusst hatte. Ihr Zeugnis würde womöglich noch einer Überprüfung durch das Gericht standhalten müssen. War es vorstellbar, dass Lord Cardew jemanden angeworben hatte, mit dem Auftrag, sie aufzuspüren und ihr am Ende noch Geld dafür zu geben, wenn sie eine solche Lüge verbreitete? Monk hielt das für ausgeschlossen, doch Gründlichkeit war oberstes Gebot. Wenn je ein anderer dringend Verdächtiger gefunden und vor Gericht gestellt wurde, würde er mit Sicherheit einen Verteidiger nehmen, der hinsichtlich der Raffinesse Oliver Rathbone in nichts nachstand. Da musste man sich auch auf solche Fragen vorbereiten.
    Doch das Gespräch mit der neuen Zeugin wollte Monk auf später verschieben. Vorher musste er noch andere mögliche Spuren untersuchen. Orme hatte Parfitts Buchhaltung geprüft, darin aber keinen Hinweis entdeckt, dass Parfitt irgendwelche Zahlungen unterschlagen hätte, die vom eigentlichen Eigentümer stammten. Falls er das trotzdem getan hatte, dann hatte er das Geld sehr sorgfältig verborgen und ganz gewiss nicht für sein persönliches Vergnügen ausgegeben. Er führte kein aufwändigeres Leben, als sich durch die branchenüblichen Einkünfte aus den Geschäften mit dem Boot rechtfertigen ließe, in denen die Erpressungsgelder natürlich nicht auftauchten. Wer immer der unbekannte Drahtzieher sein mochte, hatte folglich kein offensichtliches Motiv, sich Parfitts zu entledigen, zumal ihn dessen Tod ja dazu zwang, einen gleichwertigen Ersatz zu finden.
    Oder hatte er schon jemanden im Auge? Einen Freund, einen Verwandten, einen Gläubiger, dem er einen Gefallen schuldete?
    Der Wunsch, diesen Kerl endlich zu fassen, war so stark, dass Monk einen bitteren Geschmack auf der Zunge spürte. War es Ballinger? Oder konnte es am Ende sein, dass Ballinger zu den vielen Opfern gehörte und Sullivan genau das gemeint hatte? Ein Opfer wie er, nur dass Ballinger dazu gebracht worden war, vielleicht als Preis für das eigene Überleben noch mehr Opfer anzuwerben? Eine gefährliche Taktik. Ballinger war nicht jemand, dessen Schwächen man ausnutzen konnte.
    Bevor er irgendetwas unternahm, musste Monk so viele Fakten wie nur möglich in Erfahrung bringen. Wo, zum Beispiel, war Ballinger in der Nacht von Parfitts Tod gewesen?
    Hester hatte ihm von einem Fährmann erzählt, der damals einen Mann von Ballingers Aussehen über den Fluss gerudert und später zurückgebracht hatte. Es konnte nicht allzu schwierig sein, festzustellen, ob das Ballinger gewesen war. Falls er nur einen Freund besucht hatte, gab es auch keinerlei Anlass, es zu leugnen.
    »Gewiss«, bestätigte Ballinger lächelnd, als Monk ihn in seiner Kanzlei in der City aufsuchte. »Bertie Harkness.« Er saß bequem hinter seinem Schreibtisch. Das Büro zeugte von dezentem Komfort. Zwei Wände waren von Bücherschränken gesäumt, die unordentlich mit dunklen Lederbänden vollgestellt waren. Keine Frage, sie wurden benutzt und standen nicht zur Zierde herum. An den freien Wänden hingen alte Gemälde mit Jagdmotiven; auf den Kaminsimsen und Festerbänken befanden sich persönliche Erinnerungsstücke, ein silbern gerahmtes Porträt seiner Frau, eine Bronzebüste von Julius Cäsar, ein perlenbesetztes Opernglas.
    »Wir kennen uns seit Jahren«, fuhr Ballinger fort. »Eigentlich noch viel länger, als ich mich erinnern möchte. Ich schaue hin und wieder auf ein spätes Abendbrot und ein nettes Gespräch bei ihm vorbei.« Seine Miene drückte Verwirrung aus. »Aber warum macht Ihnen das zu schaffen, Inspektor? Unvorstellbar, dass Sie irgendeinen

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