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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Er wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
    »Danke.« Monk ließ sich auf dem Stuhl nieder, lehnte sich anscheinend entspannt zurück und schlug die Beine übereinander. »Der gleiche Fall.«
    Lächelnd machte es sich nun auch Rathbone bequem, wobei er nicht vergaß, das Hosenbein etwas hochzuziehen, damit es nicht verknitterte. »Da wir jeweils die Seite des Gegners vertreten, verspricht dieser Fall ja sehr interessant zu werden. Was kann ich für Sie tun?«
    »Vielleicht Cardew vor dem Strick retten?«
    Rathbones Lächeln erstarb. Ein schmerzlicher Ausdruck trat in seine Augen. Monk sah das und verstand. Er war froh, dass die Last der Verantwortung nicht auf seinen Schultern ruhte, dass es nicht von seinem Können oder Urteil abhing, ob ein Mensch gerettet wurde oder das Leben verlor.
    »Es tut mir sehr leid«, entschuldigte sich Monk. Eine persönliche Stellungnahme war vermutlich unangemessen, aber jetzt, in diesem Moment, waren sie ja keine Gegner. Beim Gedanken an den Tod durch Hängen empfanden sie beide dasselbe Mitleid, denselben Abscheu. »Ich habe nicht den geringsten Wunsch, ihn zu verfolgen«, fuhr er fort. »Als ich Parfitts Leiche untersuchte, dachte ich tatsächlich daran, erst gar nicht nach seinem Mörder zu fahnden, zumal ich die Bilder von dem Boot und den dort eingesperrten Jungen noch frisch im Kopf hatte. Doch als dann das Halstuch auftauchte, hatte ich keine Wahl mehr.«
    »Das weiß ich«, erwiderte Rathbone mit fahlem Gesicht. »Was genau wollen Sie, Monk?«
    »Den Mann dahinter. Sie nicht auch?«
    »Natürlich. Aber ich habe keine Ahnung, wer es ist.« Er sah Monk unverwandt in die Augen, ohne ein einziges Mal zu blinzeln. Dachte er gerade an die Nacht, in der Sullivan erst Phillips auf so grässliche Weise umgebracht und dann sich selbst gerichtet hatte? Dann hatte er doch sicher auch noch die Worte im Ohr, mit denen Sullivan kurz zuvor Arthur Ballinger bezichtigt hatte, der Drahtzieher zu sein? Warum hatte er das nur getan? Zorn, Unwissen, zusammenhangsloses Geschwätz in dem Moment, da er dem Wahnsinn verfiel? Rache für etwas ganz anderes? Oder doch die Wahrheit?
    Rathbone konnte es sich nicht leisten, Margarets Vater zu verdächtigen. Der Preis dafür wäre verheerend. Doch ebenso wenig war es ihm möglich, es zu ignorieren. Monk befand sich in demselben Dilemma, auch er konnte nicht wegschauen, ging es doch um Cardew und – noch wichtiger für ihn – um Scuff. Und auch um die Wahrheit ging es, die vielleicht sogar der dringlichste Grund war, denn wenn er das Gift jetzt nicht vernichtete, würde es sich immer weiter ausbreiten.
    »Nein«, antwortete Monk langsam, »aber wenn der richtige Druck auf Cardew ausgeübt würde, dann ließe sich von ihm vielleicht etwas mehr in Erfahrung bringen, das es uns ermöglichen würde, hinter die Wahrheit zu kommen.«
    »Warum sollte er aussagen?«, fragte Rathbone mit gepresster Stimme. »Damit würde er doch sicher zugleich sein mächtigstes Motiv für den Mord an Parfitt zugeben. Ich weiß, dass Sie glauben, seine Schuld beweisen zu können, aber er schwört, dass er es nicht war.«
    »Und Sie glauben ihm?«, fragte Monk. »Eigentlich hilft Ihnen diese Annahme überhaupt nichts, selbst wenn Sie recht haben. Worauf es ankommt, ist das, was die Geschworenen glauben. Wenn er sich bereit zeigt, uns seine Aufzeichnungen über die an Parfitt geleisteten Zahlungen auszuhändigen, einschließlich der Daten und genauen Beträge, könnten wir sie anhand von Parfitts Büchern weiterverfolgen. Und sollte das vor Gericht zur Sprache kommen, würde es womöglich eine ganze Lawine auslösen.«
    »Und Cardew endgültig an den Galgen bringen«, sagte Rathbone leise. »In seinen Gesellschaftskreisen wird man ihm nie verzeihen, dass er auf einem solchen Boot verkehrt hat, egal, ob er den Dreckskerl, der es betrieb, getötet hat oder nicht.« Seine Lippen kräuselten sich zu einem bitteren Lächeln. »Abgesehen von allem anderen, würde damit die Tatsache ans Licht kommen, dass Männer aus seiner gesellschaftlichen und finanziellen Schicht die Hauptkunden von Kreaturen wie Parfitt waren und ihm seine Machenschaften erst ermöglicht haben. Aber auch wenn das unbestreitbar zutrifft, ist es doch etwas ganz anderes, dergleichen vor der Öffentlichkeit auszubreiten.«
    »Das weiß ich«, räumte Monk ein. »Andererseits werden ihm sein Ekel, als er von der wahren Natur der Geschäfte erfuhr, und die Tatsache, dass er danach nicht mehr zu dem Boot zurückkehrte,

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