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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Fluss zu rudern, und eigentlich nicht angeln, sondern für sich sein und die Stadt mit ihrer Hektik und ihrem Lärm vergessen wollte. Das schien der Mann einigermaßen merkwürdig zu finden, doch immerhin nannte er Monk ein halbes Dutzend Leute, die ihm gerne helfen würden.
    Monk bedankte sich und ging. Tatsächlich trieb er ein leichtes, schnelles Boot auf, das er für zwei Shilling mieten konnte, und versprach, es vor Tagesanbruch zurückzubringen. Wenn die Bootsverleiher ihn für exzentrisch hielten, äußerten sie dies jedenfalls nicht.
    Danach lief er wieder zu Harkness’ Haus zurück, wo er kurz vor dem frühest möglichen Zeitpunkt eintraf, zu dem Ballinger die Rückreise angetreten haben konnte. Als Erstes blickte er sich um. Niemand war in Sicht, aber das hatte er erwartet. Ein Zeuge wäre in der Tat unverschämtes Glück gewesen!
    Sein nächster Schritt bestand darin, zügig in Richtung Bull’s Head zu marschieren. Der Wind wehte jetzt heftiger von Westen und trug den Geruch nach Regen heran. Monk stellte sich das Marschland und die Felder hinter dem Fluss vor, feuchte Erde, die vom Pflug gewendet wurde; noch weiter dahinter die Wälder, wo das schwere Laub allmählich herabfiel und die Beeren sich rot färbten; er hatte schon fast den scharfen Geruch von Holzrauch in der Nase und die Krähen vor Augen, die hoch droben in den Wipfeln den milden Winter überdauern wollten.
    Wie mit dem Verleiher vereinbart, lag das Ruderboot beim Bull’s Head. Nach kurzem Hantieren gelang es ihm, es die Gleitbahn hinunter ins Wasser zu befördern. Er fand die Ruder auf dem Boden des Bootes, steckte sie in die Gabeln, bugsierte das kleine Gefährt fort vom Uferbereich in die Mitte des Flusses und hielt auf den Corney Reach zu.
    Allerdings war die Tide heute gegen ihn. Die Gezeiten hatten gewechselt, während er im Bull’s Head gesessen hatte. Später würde er überprüfen müssen, wann in der Nacht von Parfitts Tod die Flut gekommen war. Das würde natürlich einen Unterschied bedeuten, auch wenn dieser nicht notwendigerweise gewaltig sein musste, es sei denn, das Wasser hatte ausgerechnet zum Zeitpunkt des Mordes seinen Höchst- oder Tiefststand erreicht, was er jedoch für unwahrscheinlich hielt. Aber auch solche Überlegungen gehörten zu den winzigen Details, bei denen Monk jeden denkbaren Fehler ausschließen musste, um nicht am Ende eine unangenehme Überraschung zu erleben. Immerhin war es so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit, dass er auf dem Rückweg nach Mortlake mit der Strömung rudern würde.
    Es tat gut zu spüren, mit welcher Kraft das Boot, zumal von der Strömung unterstützt, über das Wasser glitt. Es war still hier draußen. Bis auf das Flüstern der Bugwelle und das Knarzen der Rudergabel bei den Bewegungen der Riemen war kein Laut zu hören. Ab und an erhob sich aus den Bäumen längs des Ufers der Ruf eines kleinen Vogels. Einmal bellte in der Ferne ein Hund, ohne dass er sich genau orten ließ.
    Unerwartet früh tauchte der dunkle Rumpf von Parfitts Boot vor Monk auf. Er hatte inzwischen jedes Zeitgefühl verloren. Er zog die Ruder ein, und während er das Boot betrachtete, stellte er sich vor, wie es an Bord wäre. Wie lange würde es dauern, an den über die Seiten hängenden Seilen hochzuklettern? Sollte er es schätzen?
    Aber Rathbone würde ihm präzise Fragen stellen. Sein Experiment würde jede Aussagekraft verlieren, wenn er zugeben müsste, es nicht durchgeführt zu haben. Verflucht!
    So legte er sich wieder in die Riemen und ruderte näher heran. Was, wenn die Seile nicht mehr da waren? Dann müsste er das ganze Experiment wiederholen, sobald Ersatz beschafft worden war!
    Inzwischen befand er sich unmittelbar vor dem Boot. Zu sehen war von seiner Warte aus so gut wie nichts. Zwar schimmerte eine Laterne an Deck, doch sie diente nur als Warnlicht, damit andere Boote es nicht rammten. Anscheinend kümmerte sich ’Orrie darum, dass sie ohne Unterbrechung brannte. Sie sorgte für nicht mehr als ein sanftes Glühen und warf nicht das geringste Licht auf die steilen Bordwände.
    Monk streckte die Hände aus und ertastete einander überlappende Holzplanken. Vorsichtig zog er sich mitsamt dem heftig unter seinen Füßen schwankenden Ruderboot daran entlang. Nach etwa drei Metern stieß er auf die herabhängenden Seile. Um eines davon band er die Fangleine seines Bootes. Unbeholfen kletterte er dann nach oben und schürfte sich die Haut auf den Knöcheln ab, ehe er sich schließlich aufs

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