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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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kriegen kann, benutzen.«
    »Werden Sie mit ihnen sprechen?«, flüsterte Rupert entsetzt.
    »Wenn ich muss. Und Sie werden mir Schritt für Schritt beschreiben, was geschehen ist, jeden schmutzigen Akt, jeden Schrei, jede Verletzung und Erniedrigung, jedes verängstigte, weinende Kind, das zu Ihrer Belustigung gefoltert wurde. Auch ich werde Alpträume haben, vielleicht mein Leben lang, aber ich werde Ihren Freunden eine Darstellung von all dem präsentieren, damit sie nicht einen Moment daran zweifeln können, dass ich über alle Geschehnisse im Bilde bin, als wäre ich selbst dabei gewesen.« Er schnappte nach Luft. Erst jetzt merkte er, dass er am ganzen Leib zitterte und schweißbedeckt war. »Und die Geschworenen werden genau erfahren, wofür die ehrenwerten Herren so viel Geld gezahlt haben, um es zu verbergen. Vielleicht werden auch sie schreiend aufwachen. Mit Sicherheit werden sie vom selben leidenschaftlichen Wunsch wie ich beseelt sein, wenigstens ein paar Mitglieder dieses obskuren Gewerbes loszuwerden. Und Sie werden mir dabei helfen, Mr Cardew, ob aus freien Stücken oder nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie es wenigstens um Ihres Vaters willen lieber hier und jetzt unter vier Augen tun wollen, solange es noch eine freiwillige Angelegenheit ist und Sie sich so zumindest teilweise reinwaschen können. Glauben Sie mir, wenn Sie an mir zweifeln und ich Sie zwingen muss, vor den Geschworenen auszusagen, wird es noch viel schlimmer.«
    Rupert starrte ihn an, in den Augen die Niederlage und ein so abgrundtiefes Elend, dass Monks Entschlossenheit einen Moment lang nachließ. Doch dann dachte er an Scuff, an das Vertrauen, das gerade am Entstehen war, und der Moment des Schwankens war vorbei.
    »Jetzt«, forderte er Rupert auf, »in allen Einzelheiten. Geben Sie mir das Gefühl, selbst dabei zu sein.«
    Mit gesenktem Kopf begann Rupert stockend zu berichten. Immer noch stand er regungslos in dem Frühstückszimmer mit seinem von der Sonne ausgebleichten Teppich und den vielen alten Büchern. Ruperts Stimme war leise und belegt. Oft unterbrach er sich, sodass Monk ihn auffordern musste weiterzureden. Monk hasste sich selbst für sein Verhalten, kam er sich dabei doch vor, als prügelte er auf ein Tier ein. Er wusste, dass er sich danach befleckt fühlen würde. Doch er ließ nicht locker, bis Rupert ihm das gesamte widerwärtige Gewerbe in allen Details geschildert hatte. Sein Gesicht war aschfahl, fleckig und feucht von Tränen. Vielleicht würde auch er diese Tortur nie vergessen und nicht mehr der sein, der er bis dahin gewesen war.
    »Und der Mann, der daran zerbrach?«, fragte Monk. »Derjenige, der sich selbst das Leben nahm, der sich in dem kleinen Boot erschoss?«
    »Tadley«, flüsterte Rupert. »Er konnte nicht mehr zahlen. Ich kannte ihn nicht persönlich, aber ich habe davon gehört.«
    »Trieb Parfitt ihn absichtlich so weit? Als abschreckendes Beispiel für die anderen, um ihnen zu zeigen, was passiert, wenn man seine Forderungen nicht bedient?«
    »Es waren keine Forderungen!«, blaffte Rupert. »Es war Erpressung! Ich habe es Ihnen doch gesagt … Ich erfuhr erst danach davon. Aber auch wenn ich es gewusst hätte, hätte ich nicht für ihn zahlen können.«
    »Was war es demnach? Eine Fehleinschätzung seitens Parfitts? Ist Selbstmord gut fürs Geschäft oder schlecht?«
    Rupert schoss einen hasserfüllten Blick auf ihn ab. Das traf Monk tiefer, als er erwartet hätte; er staunte darüber, welchen Schmerz es auslöste. Vielleicht lag das daran, dass er genau wusste, wie recht der andere Mann hatte.
    »Es ist eine heilsame Erinnerung daran, dass man seine Schulden bezahlen soll, statt sie anwachsen zu lassen«, antwortete Rupert kalt. »Und es ist schlecht für das Geschäft. Andererseits ist Mord noch schlimmer. Ein Kopfschuss auf einem Boot ganz allein mitten in der Nacht lässt sich wohl kaum als Unfall darstellen. Nicht, dass Unfälle gut für die Geschäfte wären.«
    »Erzählen Sie mir von Tadley«, forderte Monk ihn auf.
    »Ich glaube, er war ein Familienmensch, aber unglücklich, einsam. Ich weiß nicht, ob er eine besondere Vorliebe für Jungen hatte. Ich hatte eher das Gefühl, dass er von der Aufregung naschen wollte, in Gefahr zu sein, um sich mit jeder Faser lebendig zu fühlen. Ich weiß, das klingt …«
    »Nein«, unterbrach ihn Monk. »Es klingt wie bei vielen Menschen, deren Leben erstickt wird von Überdruss, Pflichten und dem Versuch, den Erwartungen der anderen

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