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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Deck schwang.
    Mehrere Sekunden lang blieb er stehen und versuchte abzuschätzen, wie lange es dauern würde, jemanden niederzuschlagen, dann das Halstuch um seinen Hals zu schlingen und es so lange zuzuziehen, bis das Opfer erstickt war, um es schließlich über die Seite in ein Boot zu verfrachten oder direkt ins Wasser zu werfen. Zur Veranschaulichung tat er so, als werfe er einen Ast über Bord. Dabei fiel ihm ein, dass es dem Täter deutlich schwerer gefallen wäre, auf das Boot zu klettern, wenn er sich den Ast oder Stock, mit dem er Parfitt niedergeschlagen haben musste, um die Schultern gebunden hatte. Diesen Umstand würde er berücksichtigen müssen.
    Da Parfitt aber den Besucher, vielleicht Ballinger, erwartet hatte, hatte er bestimmt eine Strickleiter hinabgelassen. Anders ging es ja gar nicht bei Gästen, die in teuren Anzügen und Schuhen an Bord kamen. Niemand fiel gern ins Wasser, schon gar nicht, wenn man dann einen ganzen Abend lang bis auf die Knochen durchnässt war, fror und nach Flussschlamm stank.
    Ferner musste er sicherstellen, dass Ballinger nicht unter einer Verletzung oder Muskelschwäche litt, die ihm das Klettern unmöglich machte. Denn sonst würde Rathbone ihm das genüsslich unter die Nase reiben. Mit einem schiefen Grinsen stellte er sich vor, wie er all seine Anhaltspunkte den Geschworenen schilderte, nur um dann erleben zu müssen, wie Rathbone irgendeinen Arzt aus dem Ärmel zauberte, der schwor, dass Ballinger keinen Arm über Schulterhöhe heben konnte.
    Vom anderen Ufer hörte er den Ruf einer Eule, woraufhin ein kleines Tier mit einem kaum vernehmbaren Geräusch ins Wasser glitt.
    Es war Zeit für ihn, wieder in sein Boot zu klettern, nach Mortlake zurückzurudern und einen Hansom zur Anlegestelle für die Fähre zu finden. Als er schließlich am Kai auf seine Fähre wartete, stellte er fest, dass er insgesamt fünf Minuten weniger benötigt hatte als Ballinger laut den Angaben seines damaligen Schiffers in der Nacht des Mordes.
    Monk empfand eine geradezu kindliche Euphorie über den kleinen Sieg, den das darstellte. Er hatte bewiesen, dass es möglich war, all die Wege zurückzulegen und dazwischen einen Mord zu begehen. Was fehlte, war der Beweis, dass es so gewesen war.
    Am nächsten Tag suchte er Winchester auf, den Anwalt, der die Anklage gegen Ballinger führen würde, sollte es zum Prozess kommen.
    »Ah! Sie sind also Monk.« Winchester war ein groß gewachsener Mann, zwei, drei Zentimeter größer als Monk, breitschultrig und mit einer Mähne aus glattem, schwarzem Haar, das großzügig mit Grau durchwirkt war. Sein Gesicht hatte mit der langen Nase und den sehr dunklen Augen etwas Falkenartiges. Der vielleicht auffälligste Aspekt an ihm war der bereits in seinen Zügen zu erkennende Humor, der so dicht unter der Oberfläche saß, dass man meinen konnte, dieser Mann würde jeden Moment einen Scherz machen.
    »Winchester«, stellte er sich vor. »Nehmen Sie Platz.« Er deutete auf einen durchgesessenen, bequem aussehenden Lederstuhl. Er selbst hockte halb auf der Kante seines Schreibtischs. »Sie haben Beweismittel? Schießen Sie los.«
    Monk berichtete ihm akribisch über seine Recherchen, wobei er sich auf das beschränkte, was er belegen konnte.
    »Sehr schön«, lobte Winchester am Ende und schürzte die Lippen. »Ich sehe, dass Sie nicht vergessen haben, wie Sie zuletzt Prügel von Oliver Rathbone bezogen.« Er sagte das, ohne sich zu entschuldigen, aber in seinen Augen schimmerte Galgenhumor. »Diesmal müssen wir alles richtig machen.«
    »Das habe ich vor«, versicherte Monk ihm. Dann schilderte er Detail für Detail seine Wiederholung von Ballingers Fahrt nach Mortlake, genau so, wie dieser es in seiner Aussage angegeben hatte, einschließlich der freien Zeit, in der er Parfitt hätte töten und wieder zurückfahren können.
    Winchester lachte nicht, doch seine Augen verrieten, wie sehr ihn das amüsierte.
    »In seiner Jugend war Ballinger ein hervorragender Ruderer«, fuhr Monk fort. »Aber natürlich werden Sie Beweise dafür finden müssen, dass er auch heute noch dazu in der Lage ist, längere Strecken zu rudern und auf einer Strickleiter an Bord von Parfitts Boot zu klettern.«
    »Danke«, sagte Winchester verschmitzt, »daran hätte ich gar nicht gedacht.«
    Monk entschuldigte sich nicht. »Darüber hinaus habe ich jede Menge Material über die genaue Natur von Parfitts Geschäften gesammelt.« Und dann beschrieb er, was auf dem Boot alles geschehen

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