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Einer trage des anderen Schuld

Einer trage des anderen Schuld

Titel: Einer trage des anderen Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gerecht zu werden, bis man darin gefangen ist. Ohne Träume stirbt man.«
    Rupert starrte ihn verblüfft an. »Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich habe Sie falsch eingeschätzt. Ich dachte, Sie wären …«
    »Ich weiß«, unterbrach ihn Monk mit einem düsteren Lächeln. »Ein Mensch ohne Teufel im Inneren, ohne den Schimmer einer Ahnung davon, was er sein könnte. Aber Sie täuschen sich.«
    Ruperte nickte. Fast grinste er dabei.
    Monk biss sich auf die Lippe. »Nennen Sie mir nun die Namen der anderen Männer, die zum Boot hinausgefahren sind.«
    Rupert fixierte ihn immer noch, doch der Zorn war aus seinem Gesicht gewichen.
    »Bitte«, sagte Monk.
    Rupert zog eine Liste aus der Innentasche seines Rocks und reichte sie Monk. Dieser übertrug sogleich die darauf stehenden Namen und Adressen in seinen Notizblock.
    »Danke.« Monk seufzte, als er fertig war. »Diesmal kriege ich ihn.« Vielleicht war es gefährlich, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen, denn er gab ja praktisch ein Versprechen ab, aber er wollte es endlich wagen, sich selbst in die Pflicht zu nehmen. Und er fühlte sich gut dabei!
    Monk nahm sich vor, die Spuren zurückzuverfolgen, die Ballinger am Abend vor Parfitts Tod hinterlassen hatte. Dazu musste er die damals herrschenden Bedingungen so genau wie nur möglich nachstellen.
    Der erste Teil seiner Reise spielte dabei keine besondere Rolle; worauf es ankam, war die Rückfahrt. Gleichwohl wählte er als Ausgangspunkt die Straße von Ballingers Wohnhaus und brach zu der Uhrzeit auf, zu der Ballinger angeblich das Haus verlassen hatte.
    Eines konnte er natürlich nicht mehr nachstellen: das Tageslicht. Im September hatte zu dieser Stunde vermutlich gerade die Abenddämmerung begonnen, und es war wärmer gewesen. Aber das änderte nichts an der Uhrzeit. Die Fahrt musste Ballinger angesichts des schöneren Wetters allerdings leichter und darum schneller vorgekommen sein.
    Nach wenigen Minuten Wartezeit stieg Monk in einen Hansom und machte es sich auf dem Sitz für die lange Fahrt nach Chiswick bequem. Damit ihm nicht langweilig wurde, ging er im Geiste noch einmal alles durch, was er bisher in Erfahrung gebracht hatte, nahm sich einzelne Elemente heraus und versuchte, sie in ein Gesamtbild einzufügen, das allen Anfechtungen in Form von logisch begründbaren Argumenten und Zweifeln standhalten würde. Doch trotz seiner Bemühungen blieb dieses Bild allzu blass, voller Widersprüche und möglicher Alternativen, die auf ganz andere Erklärungen hinausliefen.
    Durchfroren und verdrießlich, die Beine vom langen Sitzen verkrampft, kam er in Chiswick an. Nachdem er den Kutscher bezahlt hatte, überquerte er die Straße zum Kai. Inzwischen war es stockdunkel, und vom Wasser wehte ein böiger Wind herüber. So tief im Landesinneren roch die Luft nicht mehr nach Salz, sondern vor allem nach Tang und Schlamm. Die Ebbe hatte eingesetzt, und bis zum Tiefststand waren es noch etwa zwei Stunden.
    Am Himmel rasten die Wolken vorüber und enthüllten für ein paar Augenblicke den etwa halb vollen Mond, der flüchtig sein Licht aufs Wasser warf. Etwa zwanzig Meter von Monk entfernt näherte sich eine Fähre. An Deck saßen zwei junge Männer. Über die kurze Strecke trieb ihr glückliches und mehr als nur ein bisschen betrunkenes Gelächter zu Monk herüber.
    Monk wartete, bis das Boot angelegt hatte, dann ging er zum Steg hinunter und bat den Fährmann, ihn überzusetzen. Am anderen Ufer angekommen bedankte er sich bei ihm, zahlte und lief zur Straße hinauf, um nach einem Hansom Ausschau zu halten. Das erforderte mehr Zeit als erwartet und eine weitere kurze Wegstrecke zu Fuß. Dennoch erreichte er Mortlake ungefähr um die gleiche Zeit, wie sie Ballinger für seine Ankunft bei Harkness genannt hatte.
    Jetzt musste er über zwei Stunden bis zu der Uhrzeit warten, zu der Ballinger laut Harkness die Heimreise angetreten hatten. Monk verbrachte sie damit, mit einer Laterne am Ufer entlangzuschlendern, die auf Gleitbahnen oder an den Anlegestellen ruhenden Boote zu betrachten und abzuschätzen, wie lange es dauern mochte, eines davon flottzukriegen, und wie nass man dabei wohl wurde. Als er zum Ufer spähte, bemerkte er das mit einem leisen Knarzen sanft im Wind schaukelnde Schild des Bull’s Head. Er beschloss, dort einzukehren und ein Pint Ale sowie ein Sandwich zu genießen.
    Im Gasthaus befragte er dann den Wirt beiläufig nach den Bedingungen, wenn man ein Boot mieten wollte, nur um ein bisschen über den

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