Eines Abends in Paris
die Story?«, fragte er.
»Das klingt nach einem richtig guten Film«, entgegnete ich und war mit einem Mal ganz stolz und glücklich. Ich dachte an Mélanie und hätte sie gerne bei mir gehabt. Ich war gespannt auf ihre Reaktion und war mir sicher, dass sie ebenso beeindruckt sein würde, wie ich es war.
Vor meinem geistigen Auge sah ich bereits ein weiteres gerahmtes Foto im Kinosaal. Es zeigte Solène Avril und Allan Wood und darüber stand mit schwarzem Stift geschrieben:
Wir waren gern hier im Cinéma Paradis – Allan und Solène.
»Ich bin wirklich froh, dass wir in Alains Kino drehen können und nicht bei diesen Langweilern vom La Pagode«, meinte Solène, nachdem wir einvernehmlich auf das Dessert verzichtet hatten und gleich den Espresso nahmen, der uns zusammen mit einer Silberschale mit Gebäck serviert wurde. »Das wird eine lustige Woche werden. Ich freue mich jetzt schon drauf.«
Das La Pagode in der Rue Babylone war das älteste Kino von Paris. Onkel Bernard hatte dort als Kind schon Laurel-und-Hardy-Filme gesehen, und von ihm wusste ich auch, dass die Pagode im japanischen Stil ursprünglich ein Ballsaal gewesen war, den der Architekt des Kaufhauses Bon Marché Ende des neunzehnten Jahrhunderts für seine Frau erbauen ließ. Es lag im siebten Arrondissement und war von einem verwunschenen Garten umgeben, in dem Solène mit dreizehn Jahren ihren ersten Kuss bekommen hatte.
»Der Garten war schön, aber der Kuss war grässlich«, erklärte sie lachend. »Im Kino selbst bin ich allerdings nie gewesen. Meine Eltern wohnten ja in Saint-Germain, und wenn wir als Kinder mal ins Kino gingen, was ehrlich gesagt nicht sehr oft vorkam, dann sind wir immer ins Cinéma Paradis. Da haben wir uns ja knapp verpasst, was, Alain?«
Ich lächelte bei der Vorstellung, dass wir uns damals schon hätten begegnen können. Zwischen Solène und mir lagen schätzungsweise fünf Jahre. Fünf Jahre, die in der Kindheit so entscheidend sind und später so völlig bedeutungslos.
Ich dachte an die vielen Nachmittage im Cinéma Paradis, an Onkel Bernard, von dem ich den beiden an diesem Abend erzählt hatte, an meinen ersten Kuss und an das kleine Mädchen mit den Zöpfen und hatte irgendwie das Gefühl, dass sich ein Kreis schloss.
»Ich habe eine Idee! Was haltet ihr davon, wenn wir die Premiere des Films im Cinéma Paradis machen?« Solène war schon wieder im Hier und Jetzt und völlig hingerissen von ihrem Einfall. Sie zupfte Allan Wood eine kleine weiße Blüte vom Jackett. »Das wäre doch sehr charmant, chéri, findest du nicht?«
Kurz nach Mitternacht saßen wir in der Bar. Nachdem er die Rechnung aufs Zimmer hatte schreiben lassen, hatte Allan Wood nämlich auch noch eine Idee gehabt.
»Und jetzt nehmen wir noch einen kleinen Drink in der Hemingway-Bar«, sagte er. »Ich glaube, ich kann noch einen Schlummertrunk vertragen.«
»Ach ja, ein letzter Nightcup, kommen Sie, Alain!« Solène hatte sich schon bei mir eingehakt und dirigierte mich einen endlos langen Flur entlang, an dessen Seiten sich riesige gläserne Schaukästen befanden, in denen für die Schönen und Reichen dieser Welt kostbare Geschmeide und feine Handtaschen, Zigarren und Porzellan, Kleider, Badesachen und Schuhe ausgestellt waren, die sich sicherlich nicht jeder leisten konnte. Doch Solène zog mich an sich und würdigte all die Vitrinen keines Blickes.
Und so fanden wir uns kurze Zeit später auf einem Ledersofa in der holzgetäfelten Bar des Hotels wieder, inmitten von Hemingway-Bildern und -Büsten, Jagdgewehren, Angelruten und alten schwarzen Schreibmaschinen mit kleinen runden Tasten. Wir hielten unsere Mojitos in der Hand und feierten Paris, denn Paris war ein Fest fürs Leben.
Ich muss zugeben, dass meine beiden neuen Freunde mühelos die exzessive Feierlaune aufgriffen, die in den zwanziger Jahren ganz Paris erfasst hatte. Man feierte das Leben, um die unvorstellbaren Schrecken des Krieges zu vertreiben.
»Wenn du das Glück hattest, als junger Mensch in Paris zu sein«, setzte Allan nun schon zum zweiten Mal an und seine Stimme klang etwas verschliffen, als er den großen Hemingway zitierte, »dann trägst du die Stadt für den Rest deines Lebens in dir, wohin du auch gehen magst.« Er schwenkte sein Glas und der Mojito schwappte fast über den Rand.
»Auf Paris!«
»Auf Paris!«, entgegneten wir.
»Und auf den größten Schriftsteller aller Zeiten!«
»Auf Hemingway!«, riefen wir ausgelassen, und einige Gäste sahen zu uns
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