Eines Abends in Paris
lächeln ja von jeder Leinwand.«
»Geschieht Ihnen ganz recht.«
Mittlerweile waren wir einmal um die Place Vendôme spaziert, und Solène zog mich vor die Auslage eines Juweliergeschäfts, das wenige Meter vom Eingang des Ritz entfernt lag.
Sie warf einen Blick auf die Uhren, die funkelnden Ringe und Ketten, die für astronomische Preise zu haben waren.
»Vielleicht sollten Sie Ihrem Mädchen ein schönes Schmuckstück kaufen.«
»Ich fürchte, das ist nicht ganz meine Preisklasse.«
»Aber meine«, sagte sie. »Jedenfalls heute. Cartier, Chanel, Dior – alles kein Problem. Haben Sie noch eine Zigarette für mich?«
Ich hielt ihr die Schachtel hin und gab ihr Feuer.
»Danke.« Sie stieß den Rauch aus und sah ihm nachdenklich hinterher. »Meine Eltern hatten nicht sehr viel Geld. Es reichte hinten und vorne nicht. Unsere ganze Wohnung war vielleicht so groß wie heute mein Badezimmer in Santa Monica. Ich war schön, ehrgeizig und unausstehlich. Als sich damals die Gelegenheit bot, bin ich weg aus Paris. Mit einem Austauschstudenten aus San Francisco. Victor.« Ihre Miene verdüsterte sich für einen Augenblick und sie schnippte die Asche weg. »Dann lebte ich ein paar Jahre in Carmel.« Die Erinnerung ließ ihre Stimme ganz weich werden. »Kennen Sie Carmel?« Ich schüttelte den Kopf, aber sie schien es nicht einmal zu bemerken. »Carmel. Allein der Name klingt schon kostbar, oder? Ein kleiner Ort direkt am Pazifik. Es gibt ein altes Kloster dort und einen endlosen goldgelben Sandstrand. Diese Weite ist kaum vorstellbar. Wenn man dort sitzt, vergisst man alles.«
Sie rauchte schweigend und ich stand nur da und wartete. In der Nacht waren Bekenntnisse gut aufgehoben.
»Am Strand von Carmel bin ich dann auch angesprochen worden«, sagte sie schließlich. »Ich jobbte damals in einem Coffeeshop, um mich über Wasser zu halten. Und dann war ich plötzlich das Gesicht, das man suchte. Probeaufnahmen, Vorsprechen, der erste Film. Und dann ging alles ganz schnell. Fast unheimlich.« Sie lachte. »Mit einem Mal hatte ich Geld. Viel Geld. Ich konnte es kaum fassen. Es war alles so leicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Von einer meiner ersten Gagen habe ich meinen Eltern eine Reise nach Saint-Tropez geschenkt. Ins Belrose.«
Sie lehnte sich gegen die Mauer des Juweliergeschäfts und zog sich ihre dunkle Stola um die Schultern.
»Meine Mutter hat immer davon geträumt, einmal im Leben mit meinem Vater in Saint-Tropez Ferien zu machen. Sie konnten sich keine teuren Reisen leisten. Saint-Tropez war das Größte für sie. In ihrem Nähzimmer hing ein altes Plakat von der Côte d’Azur, da hat sie immer draufgeschaut. Bevor sie losfuhren, rief Maman mich noch einmal an. Ihre Stimme klang ganz hell vor Aufregung, wie die einer jungen Frau. Sie war so glücklich. ›Ich glaube, das ist der schönste Tag meines Lebens, Kind‹, hat sie gesagt.« Solène schluckte. Sie wirkte plötzlich traurig, und ich fragte mich, warum.
»Was für eine wunderbare Idee«, sagte ich vorsichtig.
Solène sah mich an und ihre dunkelblauen Augen glänzten.
»Nein, keine wunderbare Idee«, sagte sie bitter und warf den glimmenden Zigarettenstummel auf den Boden. Sie presste die Lippen aufeinander, und ich hatte Angst, dass sie gleich anfangen würde zu weinen.
»Meine Eltern sind auf der Fahrt tödlich verunglückt. Irgend so ein übermüdeter Lastwagenfahrer, der nicht in den Rückspiegel geschaut hat, bevor er die Spur wechselte. Sie sind nie nach Saint-Tropez gekommen.«
»Um Gottes willen, Solène, das ist ja grauenvoll!« Ohne zu überlegen, legte ich den Arm um sie. »Meine arme Solène!«
»Ist schon gut«, sagte sie und wischte sich kurz über die Augen. »Das ist alles so lange her. Ich weiß gar nicht, wieso ich gerade jetzt wieder daran denken muss. Es ist so seltsam, nach all den Jahren wieder hier zu sein in Paris – vielleicht ist es das.«
Sie versuchte ein Lächeln und strich mir dann mit einer raschen Bewegung eine Haarlocke aus der Stirn. »Danke jedenfalls für den Spaziergang, Alain. Sie sind wirklich sehr süß. Ihre Freundin hat Glück.«
Und dann passierte es. Aus heiterem Himmel. Im ersten Moment dachte ich, ein Wetterleuchten sei lautlos über uns hereingebrochen. Ich zog die Schultern hoch und wartete instinktiv auf den grollenden Donner. Ein greller Blitz zuckte durch die Dunkelheit, dann der nächste. Schützend hob ich die Hand und schloss geblendet die Augen. Als ich sie wieder öffnete, blickte ich
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