Eines Abends in Paris
Mélanie gesagt hätte, ihre Mutter habe keinen Schmuck gemocht. Das war bei Hélène auch so. ›Ich habe andere Reize, ich mag kein Metall auf meiner Haut‹, hat sie mal zu mir gesagt, als ich ihr ein Armband schenken wollte.« Er schmunzelte. »Nun ja, einen Ehering hätte sie vielleicht getragen.« Nachdenklich rührte er mit dem Strohhalm in seinem Glas. »Sie hat ja auch später noch mal geheiratet, aber so weit ich weiß, ging die Ehe rasch und kinderlos in die Brüche.«
Ich musste an Mélanies Rosenring denken. Mit einem Mal beschlichen mich Zweifel. Mélanie hatte gesagt, dass der Ring ein Andenken an ihre Mutter sei. An ihre tote Mutter.
»Wissen Sie, ob Hélène noch lebt?«, fragte ich und hatte Angst vor der Antwort.
Allan Wood seufzte und schüttelte bedauernd den Kopf. »Sie war so eigensinnig, sie musste ja auch mit über sechzig noch auf so einen blöden Gaul steigen und ausreiten.« Er runzelte missbilligend die Stirn und mir wurde schlecht vor Erleichterung.
Es stimmte also. Mélanies Mutter war gestorben und Mélanie trug Hélènes Ring – das Einzige, was ihr geblieben war. Sie hatte keine Geschwister. Und dass sie ihren Vater mit keiner Silbe erwähnt hatte, wunderte mich unter den gegebenen Umständen nun auch nicht mehr.
»Ich habe immer gesagt, dass diese Viecher gefährlich sind, aber sie machte ja, was sie wollte. Sie hat sich das Genick gebrochen. Ein Unfall – vor zwei Jahren. Ich bekam sogar eine Anzeige … aber erst Wochen später. Nach der Beisetzung, die im engsten Familienkreis stattgefunden hatte. Dazu zähle ich natürlich nicht mehr. Bei den Bécassarts bin ich eine persona non grata. « Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. »Aber Méla würde ich trotzdem gerne wiedersehen. Vielleicht finden wir einen Weg, Frieden miteinander zu schließen. Sie ist doch schließlich meine Tochter.« In seiner Stimme lag Wehmut.
»Ich würde Ihre Tochter auch sehr gerne wiedersehen«, sagte ich mit klopfendem Herzen. Plötzlich war ich hellwach. Es war unglaublich und beglückend zugleich, und ich konnte es kaum fassen, dass sich nach all den vergeblichen Bemühungen, Mélanie wiederzufinden, nun so unerwartet eine neue Spur auftat. Ich hätte den Mann mit der dunklen Hornbrille am liebsten umarmt, der an diesem Abend sozusagen ein Verwandter geworden war. »Ich möchte nichts lieber als Mélanie endlich wiedersehen«, sagte ich noch einmal. »Wollen Sie mir dabei helfen, Allan?«
Allan Wood lächelte und hielt mir seine Hand hin. »Ich werde Méla finden. Das ist ein Versprechen.«
19
Die Dreharbeiten hatten begonnen. Unwiderruflich. Sie verwandelten mein kleines Kino in einen geschäftigen, wahnwitzigen, summenden Mikrokosmos, ein kaum zu bändigendes, hochexplosives Konglomerat aus endlosen Kabeln und grellen Scheinwerfern, rollenden Kameras und schnappenden Filmklappen, gebrüllten Anweisungen und angespannter Stille. Es war eine ganz eigene Welt, in der sich menschliche Eitelkeiten, hitzige Rivalitäten und höchste Professionalität auf seltsame Weise mischten.
Als ich am Montag über die beiden ausgebauten Sitzreihen kletterte, die quer im Foyer standen und den Eingang versperrten, war mir klar, dass kein Stein auf dem anderen geblieben war. Eine tiefgreifende Veränderung hatte im Cinéma Paradis stattgefunden. Nicht einmal Attila, der Hunnenkönig, hatte bei seinem Einfall in die Tiefebene Pannoniens solche Verwüstung angerichtet.
Ungläubig blieb ich im Foyer stehen und starrte auf das Chaos, das um mich herum ausgebrochen war. Ein schnaufender, schwitzender Kabelträger rempelte mich an, und ich trat zurück und stolperte fast über den Fuß einer Lampe, die gefährlich ins Schwanken geriet.
»Attention, Monsieur! Aus dem Weg!« Zwei Männer liefen ächzend an mir vorbei. Sie schleppten einen riesigen Kronleuchter in den Kinosaal, und ich stolperte abermals zur Seite und stieß diesmal mit einem menschlichen Wesen zusammen, das ein geblümtes Kleid trug. Es war Madame Clément.
»Oh Gott, oh Gott, Monsieur Bonnard, da sind Sie ja endlich!«, rief sie und gestikulierte wild in der Luft herum. »Mon Dieu, was für ein Durcheinander!« Madame Clément hatte hochrote Wangen und schien sehr aufgeregt. »Haben Sie schon gesehen, was die aus meinem Kassenhäuschen gemacht haben? Ich konnte es nicht verhindern, Monsieur Bonnard, diese Leute vom Catering sind einfach rücksichtslos, dabei haben sie doch schon ihren dicken Wagen vor dem Kino geparkt.« Sie wies vorwurfsvoll
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