Eines Abends in Paris
und steckte sich eine letzte kleine Pille in den Mund.
Solène wusste es bereits. Sie hatte mich mit einem konspirativen Lächeln in mein ehemaliges Büro geführt, mir einen Hocker zugewiesen und die Tür hinter uns zugezogen. Jetzt saß sie mir gegenüber auf ihrem Stuhl, hielt einen Pappbecher mit heißem Kaffee in den Händen und sah mich mit glänzenden Augen an.
»Quelle histoire! «, sagte sie begeistert. »Ich meine, was für eine Geschichte! Ein Kinobesitzer verliebt sich in eine geheimnisvolle Frau und die ist ausgerechnet die verkrachte Tochter eines Regisseurs, der in seinem Kino dreht. Das ist ja besser als jeder Film! Hahaha!« Sie lachte unvermittelt.
Ich nickte und stellte verwundert fest, wie vertraut mir dieses silberhelle Lachen schon war. Solène, die kapriziöse, lebenslustige Frau mit den vielen Ideen, war mir ein bisschen ans Herz gewachsen.
»Ja«, sagte ich dann. »Das ist wirklich ein unglaublicher Zufall! Allan Woods Tochter! Ich meine, da muss man erst einmal draufkommen.« Meine Gedanken kehrten für einen Moment in die Hemingway-Bar zurück und zu dem, was mir Allan über Hélène und seine Tochter erzählt hatte.
»Ich hoffe nur, dass er Méla auch findet«, schloss ich besorgt. »In der Rue de Bourgogne wohnt jedenfalls keine Frau, die mit Nachnamen Bécassart heißt, das wäre mir aufgefallen.«
»Natürlich findet er sie«, sagte Solène und zwirbelte eine Haarsträhne nach oben, die sich gelockert hatte. Dann legte sie ihre Hand auf meinen Arm. »Mach dir keine Sorgen, Alain. Er wird sie finden. Schließlich wollen wir doch alle, dass aus der Tragödie am Ende noch eine Komödie wird, n’est-ce pas? «
»Alle?«, fragte ich. »Wer weiß denn noch davon?«
Solène nestelte an ihrer Perlenkette. »Oh, nur Carl – dem habe ich es natürlich erzählen müssen, schließlich waren wir ja mal sehr eng miteinander – und Liz natürlich. Die hat ein Faible für komplizierte Liebesgeschichten und findet das alles hochromantisch.« Sie lächelte. »Ich übrigens auch.« Sie sah mich ein wenig zu lange an und ich beschloss, das Thema zu wechseln.
»Was war denn das eben mit Carl?«, fragte ich.
Carl Sussman war ein exzellenter Kameramann, der bei diversen Oscar-Verleihungen schon einige Preise abgeräumt hatte. Und er war, wenn man den Worten Solènes glauben wollte, der größte Idiot, den die Sonne Frankreichs jemals gesehen hatte.
Dass der bärtige Hüne es einfach nicht akzeptieren wollte, dass die sprunghafte Schauspielerin ihre Affäre mit ihm beendet und sich einem texanischen Großgrundbesitzer zugewandt hatte, wusste ich ja bereits von Allan Wood. Doch seitdem das Team in Paris wieder zusammengekommen war, um die Dreharbeiten zu Zärtliche Gedanken an Paris aufzunehmen, wich der heißblütige Carl nicht mehr von Solènes Seite. Er klaute ihr Mobiltelefon, las alle Nachrichten, die Ted Parker ihr geschrieben hatte, löschte sie und schrieb dem Texaner dann: »Lass die Finger von Solène, Cowboy, das ist meine Braut.«
Selbstverständlich hatte die Schauspielerin ihrem aufgebrachten Liebsten, der in Texas auf seiner Ranch saß, alles erklärt und Carl gehörig zusammengestaucht. Sie hatte ihm sogar gedroht, dass sie darauf bestehen würde, den Kameramann zu wechseln, wenn er sich nicht in den Griff bekam. Doch Carl ließ sich von ihrem Zorn nicht beeindrucken.
»Wir sind füreinander geschaffen, corazon «, sagte er immer wieder und setzte alles daran, Solène mit roten Rosen und leidenschaftlichen Liebesschwüren zurückzugewinnen. Carl war kein Mann, der ein Nein akzeptierte. Er ging ihr nach, wenn sie in der Rue de Faubourg Schuhe kaufte, er kam ins Ritz und hämmerte nachts an ihre Zimmertür. Und als sie ihn mit den Worten »Alors, va-t’en, Carl, je ne veux pas! Kapier’s endlich!« abspeisen wollte, hatte er mit großer Bestimmtheit hervorgestoßen »Ta gueule, femme! Tu fais ce que je dit! « und sie geküsst. Tatsächlich hatte Solène ihren Mund gehalten und sich noch einmal – ein einziges Mal hinreißen lassen.
»Nun, ja … Carl ist ein durchaus attraktiver Mann und wir hatten einige Margaritas getrunken«, erklärte sie mir verlegen. »Aber muss dieser Idiot nachts gleich mein Telefon abheben?«
Als statt Solènes süßer Stimme der dunkle Bass eines Mannes mit brasilianischen Wurzeln im Hörer erklang, der mit der Preisgabe seiner Identität durchaus kein Problem hatte und »Hier ist Carl« in den Hörer brummte, war es zu einer transatlantischen
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