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Eines Greifen Ei

Eines Greifen Ei

Titel: Eines Greifen Ei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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Schiff unterwegs befindet, sind wir hier ein für allemal gestrandet.«
    Er nahm sie in die Arme. Sie fror und zitterte. Sie fühlte sich feucht-kalt an und hatte eine Gänsehaut. »Wie lang ist es her, seit du geschlafen hast?« fragte er streng.
    »Ich kann mich nicht ...«
    »Du bist eingestöpselt, nicht wahr?«
    »Ich kann es mir nicht leisten zu schlafen. Jetzt nicht. Später.«
    »Ekatarina! Die Energie, die du über den Draht bekommst, wird dir nicht geschenkt. Sie ist nur von deinem eigenen Körper geliehen. Sobald du dich ausstöpselst, wird die Rückzahlung fällig. Wenn du dich zu lange an den Draht anschließt, stürzt du dich ins Koma.«
    »Ich war noch nie ...« Sie verstummte, und ein verwirrter, unsicherer Ausdruck trat in ihre Augen. »Vielleicht hast du recht. Eine kleine Ruhepause würde mir wahrscheinlich guttun.«
    Das KMP meldete sich zu Wort. »Kader Neun baut einen Radioempfänger. Ezumi hat ihnen grünes Licht dafür gegeben.«
    »Scheiße!« Ekatarina richtete sich kerzengerade auf. »Können wir das irgendwie verhindern?«
    »Ein Vorgehen gegen ein allgemein beliebtes Projekt würde Sie den Verlust Ihrer Glaubwürdigkeit kosten, und Sie können sich eine derartige Einbuße nicht leisten.«
    »Okay. Wie können wir den Schaden so gering ...«
    »Ekatarina«, unterbrach Gunther sie. »Schlaf, erinnerst du dich?«
    »Sofort, Baby.« Sie klopfte mit der flachen Hand auf das Futonbett. »Leg dich schon mal hin und warte auf mich. Ich werde das hier alles im Griff haben, bevor du eingeschlummert bist.« Sie küßte ihn zärtlich und zögerte. »Alles in Ordnung?«
    »Ja, sicher.« Er legte sich hin und schloß die Augen, nur für eine Sekunde.
    Als er aufwachte, war es Zeit, die Schicht anzutreten, und Ekatarina war weg.

    ES WAR ERST DER FÜNFTE TAG nach Wladiwostok. Doch alles war so grundsätzlich verändert, daß die Zeit davor wie die Erinnerung an eine andere Welt erschien. In einem früheren Leben war ich Gunther Weil, dachte er. Ich lebte und arbeitete und hatte hin und wieder ein bißchen Spaß. Damals war das Leben einigermaßen angenehm.
    Er suchte immer noch nach Sally Chang, wenn auch mit schwindender Hoffnung. Er hatte sich angewöhnt, immer, wenn er mit einer Anzuggestalt sprach, zu fragen, ob sie seine Hilfe brauchte. Es kam immer häufiger vor, daß sie sie nicht brauchten.
    Die Kapelle auf der dritten Ebene war eine flache Schale, zur Terrassenwand hin ausgerichtet. Tigerlilien wuchsen im Bereich der Kanzel um deren Fuß herum, und türkisfarbene Echsen huschten über den Fels. Kinder spielten in der Kanzel Ball. Gunther stand oben und plauderte mit Ryohei Iomato, der mit trauriger Stimme sprach.
    Die Kinder legten den Ball beiseite und fingen an zu tanzen. Sie spielten Ringelreihen. Gunther beobachtete sie mit einem Lächeln. Von oben gesehen glichen sie vielen Farbtupfern, einer Blume, die sich von selbst entfaltete und wieder schloß. Langsam verging ihm das Lächeln. Sie tanzten zu perfekt. Nicht eins der Kinder machte einen falschen Schritt, nahm den falschen Platz ein oder zog sich schmollend zurück. Der Ausdruck auf ihren Gesichtern war angespannt, selbstversunken, unmenschlich. Gunther mußte sich abwenden.
    »Das KMP steuert sie«, erklärte Iomato. »Ich brauche eigentlich nicht viel zu tun. Ich stöbere die Videos durch und suche Spiele für sie heraus, Lieder zum Singen und kleine Leibesübungen, damit sie gesund bleiben. Manchmal lasse ich sie etwas zeichnen.«
    »Mein Gott, wie halten Sie das aus?«
    Iomato seufzte. »Mein alter Herr war Alkoholiker. Sein Leben war ziemlich hart, und irgendwann fing er an zu trinken, um die Sorgen zu vertreiben. Und wissen Sie was?«
    »Es funktionierte nicht.«
    »Genau. Er wurde dadurch nur noch trübsinniger. Dann hatte er also doppelten Anlaß, sich zu betrinken. Er versuchte es jedoch immer weiter, das muß ich ihm lassen. Er gehörte nicht zu den Menschen, die etwas aufgeben, an das sie glauben, nur weil es nicht so funktioniert, wie sie es gern gehabt hätten.«
    Gunther sagte nichts.
    »Ich glaube, die Erinnerung ist das einzige, das mich davon abhält, meinen Helm abzusetzen und mich zu ihnen zu gesellen.«

    DAS VIDEOZENTRUM der Korporativen Gesellschaft war ein schmaler Schlauch von Büros in den abgelegensten Tunnelbereichen, wo die Rohfassungen von Filmstreifen für Werbespots und alle möglichen geschäftlichen Verwendungszwecke bearbeitet wurden, bevor sie in die besser ausgestatten Videozentren auf der Erde

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