Einfach Abschalten
bis ich wieder auflegte. Erst dann erhielt dieses Erlebnis unerwartete Fülle und Bedeutung.
Solche Zwischenräume ermöglichen es unserer Aufmerksamkeit auch, in die physische Welt zurückzukehren. Ich bestehe nicht bloß aus Gehirn, zwei Augen und tippenden Fingern. Ich bin eine Person mit einem lebendigen Körper, der sich durch Raum und Zeit bewegt. Wenn ich die Bildschirme mein Leben bestimmen lasse, verzichte ich auf meine eigene Ganzheitlichkeit. Ich lebe ein vermindertes Leben und gebe der Welt weniger zurück. Dies ist nicht nur ein individuelles und privates Problem, es betrifft all unsere kollektiven Unternehmungen im Beruf, in der Schule, in der Politik und auf jeder Ebene der Gesellschaft. Wir leben und geben weniger, und um die Welt ist es dadurch umso schlechter bestellt.
Jetzt, wo das digitale Zeitalter noch jung ist, ist der richtige Zeitpunkt, uns das Verlorene wieder anzueignen, um – mit den Worten des ehemaligen Google-Chefs Eric Schmidt – »all die Menschlichkeit um uns herum« wieder in die Gleichung einzubeziehen.
Mit diesem Ziel stieg ich in Teil I und II dieses Buches auf der Suche nach nützlichen Ideen tief ins Archiv der menschlichen Erfahrungen herab. Wie die sieben Philosophen, deren Gedanken zu unserem Problem ich dargestellt habe, gezeigt haben, ist diese Aufgabenstellung so alt wie die Zivilisation. In dem Maße, in dem die menschliche Vernetztheit voranschreitet, macht sie das Leben durch Erzeugung neuer Menschenmassen stets umtriebiger. Und das Leben in der Masse führt unvermeidlich zu den Fragen, die wir uns nun stellen: Warum habe ich keine Zeit, nachzudenken? Was ist das für ein verlorenes, ruheloses Gefühl, das ich nicht abschütteln kann? Wo hört die Masse auf, und wo fange ich an? Was machen diese Werkzeuge mit uns, und können wir es beheben?
Die Philosophen hatten alle möglichen Antworten zu bieten und brachten eine Reihe von Themen aufs Tapet. Das Wichtigste war die Notwendigkeit, eine Balance zwischen dem Vernetzt-Sein und dem Nicht-vernetzt-Sein, der Masse und dem Selbst, dem Leben im Außen und dem im Innen herzustellen.
Man könnte argumentieren, dass die Zivilisation solche Übergangsprozesse immer übersteht und fortschreitet, warum sich also Sorgen machen? Natürlich werden wir überleben. Die Frage ist, ob das alles ist. In all den früheren Epochen, die wir uns angesehen haben, gab es Leute, denen es gut ging und die ihr Glück gefunden haben, und solche, die es nicht gefunden haben. Erstere fanden annähernd das glückliche Gleichgewicht, das Sokrates anstrebte, als er betete, sein äußeres und sein inneres Selbst mögen im Einklang sein. Letztere wurden zu Geiseln ihrer eigenen Nach-außen-Gewandtheit und schüttelten niemals die »Ruhelosigkeit eines aufgescheuchten Gemüts« 198 ab.
Im Folgenden finden Sie eine Auflistung der Schlüsselbegriffe, ergänzt mit konkreteren Vorschlägen, wie man sie heute umsetzen könnte. Die Beispiele stammen vorrangig aus meinem eigenen Leben und meinen Erfahrungen, weil es das ist, was ich kenne. Dies sind Anregungen, keine Vorschriften. Die Lebensumstände eines jeden Einzelnen sind anders, und es gibt keine einzig wahre Herangehensweise an diese Herausforderung. Der Zweck der Übung ist, Ihnen Hilfestellungen für Ihre eigenen Strategien zu bieten. Achtsamkeit ist die halbe Miete, und jegliche Bemühung, egal wie gering, ist schon ein Fortschritt.
1. Platon
Prinzip: Distanz
In Platons Dialog Phaidros lassen Sokrates und sein Freund die Geschäftigkeit Athens einfach hinter sich, indem sie eine kleine Wanderung unternehmen. Physischer Abstand ist die älteste Methode, die Kontrolle über die Masse zu bekommen. Bei vordergründiger Betrachtung ist es heute viel schwieriger, die »Mauern« unseres vernetzten Lebens zu verlassen. Wirklich unvernetzte Orte sind immer seltener. Aber auf andere Weise ist es leichter. Machen Sie einen Spaziergang ohne elektronische Geräte, und die Distanz gehört Ihnen. In dem Moment, in dem Sie die Bildschirme hinter sich lassen, sind Sie außerhalb der Mauern.
Warum ist das nicht schon längst allgemeine Praxis? Weil es so harmlos und in der Tat so nützlich zu sein scheint, ein Handy mitzunehmen. Wir sind zu der Einschätzung gelangt, dass es gefährlich wäre, sich ohne es hinauszubegeben, so als könnten wir niemals allein für uns sorgen. Es ist einfach nett, seinen digitalen Freund dabeizuhaben, nur für den Fall der Fälle.
Auf subtile, aber entscheidende Weise
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