Einfach Abschalten
verändert es jedoch den Charakter des Erlebnisses. Auch wenn ein Smartphone Komfort und ein Gefühl der Sicherheit bietet, nimmt es einem die Möglichkeit wirklicher Abgeschiedenheit. Es ist eine psychische Hundeleine, und der Geist spürt das Zerren. Und das ist das Problem – wir haben uns so an das Ziehen der Leine gewöhnt, dass wir uns ein Leben ohne sie kaum vorstellen können.
Um die moderne Entsprechung der antiken Distanz herzustellen und ihre Vorzüge zu genießen, muss man seine Bildschirme außer Reichweite schaffen. Lassen Sie das Handy in einer Schublade und gehen Sie aus der Tür. Es wird nichts Schlimmes passieren, aber vielleicht etwas Gutes. Auch wenn Ihr Spaziergang ohne Telefon keine Sokrates-gleiche Euphorie erzeugen wird, wird er Ihnen doch ein neues Gefühl innerer Freiheit verschaffen. Die Straßen der Stadt entlangzuschlendern, umgeben von Leuten, die sich über ihre Bildschirme beugen, und dabei zu wissen, dass man selbst »nackt« unterwegs ist, wird Ihre Schritte beflügeln.
Dasselbe Prinzip, das hier zugrunde liegt, kann auch auf andere Alltagserfahrungen angewandt werden. Jeder kleine Ausflug in die Welt, selbst die banalste Besorgung kann zusätzlich zu einer kleinen Ausflucht werden, sofern Sie keinerlei Bildschirm mitnehmen. Oder versuchen Sie die Langversion: Einen freien Tag außerhalb der Stadt. Schalten Sie die automatische Urlaubs-Bandansage ein, lassen Sie alle Ihre Kommunikationsmittel zu Hause und bleiben Sie standhaft, ohne rasch noch mal nachzugucken, auch wenn sich die Gelegenheit bietet. Suchen Sie sich ein Ziel, schnappen Sie sich eine Begleitung und machen Sie Ferien von der Elektronik. Sollte es in Ihrer Unterkunft einen Bildschirm geben, gehen Sie ihm weiträumig aus dem Weg.
Vor ein paar Wintern hat das Magazin Condé Nast Traveler drei Reporter nach Moskau geschickt, einen mit einem BlackBerry ausgestattet, einen mit einem iPhone und den dritten nur mit einem gedruckten Reiseführer. Sie erhielten eine Reihe von Touristenaufgaben, die sie in der eisigen Metropole zu erfüllen hatten, etwa ein tolles, günstiges Restaurant zu finden und eine Apotheke aufzuspüren, die um Mitternacht geöffnet hat. Der Low-Tech-Teilnehmer hat gewonnen. Nachdem der Artikel erschienen war, schrieb eine Leserin: »Ich bin erfolgreich um die Welt gereist, lediglich mit einem eselsohrigen Reiseführer und einem netten Lächeln bewaffnet … Auf die Gastfreundlichkeit kann man sich überall verlassen, wie Ihnen jeder erfahrene Reisende bestätigen wird. Man sollte nur nicht zu sehr in sein BlackBerry vertieft sein, um es zu bemerken.« 199
Unterdessen hat Distanz im altmodischen Sinn auch nicht vollständig an Bedeutung verloren. Es gibt immer noch Orte, wo es schwierig oder gar unmöglich ist, irgendeinen digitalen Zugang zu finden, darunter auch entlegene Teile der Vereinigten Staaten. Nutzen Sie jede Gelegenheit, das zu genießen, denn die Funklöcher werden nicht für immer bleiben. Meine Familie horcht auf, wenn wir bei den Überlegungen zu Ferienmöglichkeiten oder Sommercamps erfahren, dass es dort keinen Handyempfang oder Internetzugang gibt. Auch wenn es immer mehr gang und gäbe ist, dass es auf Flügen WLAN gibt, ist das nicht auf allen der Fall. Sparen Sie sich das Geld, wenn für das Angebot eine Gebühr verlangt wird. Sie bekommen eine weitaus größere Annehmlichkeit – Ihren persönlichen Abstand vom Netz –, und zwar umsonst.
2. Seneca
Das Prinzip: Innerer Raum
Als physischer Raum entweder nicht verfügbar war oder seinen Zweck nicht erfüllte, fand Seneca den inneren Raum. Er tat dies, indem er sich auf einen Gedanken oder eine Person konzentrierte und den Rest der Welt ausblendete. Heute ist die Fähigkeit, die Masse zu minimieren, noch viel wichtiger, und es gibt mehrere Wege, sie zu praktizieren. Die erste und offensichtlichste ist, einen Freund oder ein Familienmitglied in Ihrer physischen Nähe aufzusuchen und mit ihm zu reden. Eine aufmerksame Plauderei ohne Ablenkungen, ohne Bildschirme. Es ist so naheliegend, dass es absurd erscheint, es zu empfehlen. Aber sprechen wir denn wirklich noch miteinander? Wenn die Person, der Sie Ihre Aufmerksamkeit zuwenden, einen Bildschirm hat, sollten Sie ihn oder sie freundlich bitten, ihn beiseitezulegen. Was Sie damit im Endeffekt sagen, ist: Ich will hier nur mit dir sein. Man hört diese Zuneigungsbekundung heutzutage kaum, und das sollte nicht so sein.
Das Briefeschreiben ist zwar eine aussterbende Kunst, aber es
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