Einfach Abschalten
scheinen, was sie tun. Dieses beneidenswerte Talent kann übernatürlich erscheinen, wie etwas, mit dem man geboren werden muss. William James bestätigt, dass es ein paar glückliche Individuen gibt, die dem Leben so verbunden sind, dass sie noch in einem wolkigen Himmel oder den Gesichtern von Fremden auf einer belebten Straße der Großstadt »innere Bedeutsamkeit« entdecken können. Er überlegte, ob alle Übrigen auch diese außergewöhnliche Art der Aufmerksamkeit erwerben können. »Wie«, fragt er, »kann man zu der Empfindung von essenzieller Bedeutsamkeit einer Erfahrung kommen, wenn sie einen nicht schon von Anfang an begleitet?« James gelangt zu derselben Schlussfolgerung, zu der durch die Jahrhunderte viele andere Philosophen auch gelangt sind: Jeder Mensch hat das Potenzial zu tiefer Lebenserfahrung. 4
Dieses Potenzial geht verloren, wenn die eigenen Tage derart überfrachtet werden, dass die Geschäftigkeit selbst zur eigentlichen Beschäftigung wird. Wenn aus jedem Augenblick eine Art Verkehrsstau wird, dann wird es unmöglich, sich auf irgendeine Erfahrung mit seinem ganzen Selbst einzulassen. Doch unsere Lebensweise geht immer mehr in diese Richtung. Wir sind zu so etwas wie Kugeln in einem Flipper geworden: Wir titschen in einer Welt aus blinkenden Lichtern, Rattern und Klingeln herum. Diese Welt besteht aus einer Menge Bewegung und Lärm, führt aber zu nicht viel.
Hier und da kommt uns der Gedanke, dass es besser wäre, unsere Verpflichtungen und Terminpläne neu zu strukturieren, damit sie uns nicht über den Kopf wachsen und uns die Luft zum Atmen nehmen. Doch kaum kommt uns dieser Gedanke, schieben wir ihn als unnütz beiseite. Wir machen uns weis, die verrückte Rennerei sei das wahre Leben. Wir ergeben uns dem mit derselben Verbissenheit, wie sich die Menschen in repressiven Gesellschaften mit der Unfreiheit abfinden. Alle leben so, hasten oberflächlich durch ihr Leben. Wir haben den Amboss nicht herabfallen lassen und können nichts anderes tun, als bei der Stange zu bleiben und das Beste draus zu machen.
Obwohl es in unserer Gesellschaft tatsächlich die Norm ist, sein Leben auf diese Weise zu führen, machen wir uns etwas vor, wenn wir so tun, als wären wir nicht selbst dafür verantwortlich. Es stimmt schon, dass man bei manchen Tätigkeiten und Verpflichtungen, die unsere Stunden ausfüllen, keine Wahl hat. Wenn Ihr Chef von Ihnen verlangt, Überstunden zu machen, tun Sie es. Wenn die Hypothekenzahlung fällig ist, sollten Sie sich hinsetzen und zahlen. Doch von diesen uns auferlegten Zeitfressern abgesehen sorgen wir selbst für einen Großteil unserer Geschäftigkeit, indem wir Aufgaben übernehmen, ohne dass es jemand von uns verlangt hätte. Manche dieser selbstgewählten Beschäftigungen machen Spaß und sind erfüllend, etwa Hobbys und persönliche Anliegen, um die wir uns kümmern und für die wir uns mit Nachdruck einsetzen. Andere sind so sinn- und zwecklos wie der Zeitaufwand, den wir betreiben, um Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen. Ob lohnend oder nicht, der springende Punkt ist, dass ein erheblicher Teil der Tätigkeiten, die uns auf Trab halten, allein auf uns selbst zurückgehen. Wir suchen sie uns nicht nur aus, wir jagen ihnen geradezu nach.
In den letzten Jahrzehnten haben wir eine wirkungsvolle neue Möglichkeit entwickelt, noch mehr Geschäftigkeit zu erzeugen: die digitale Technik. Computer und Smartphones werden oft als Lösung für unser stressiges, überladenes Leben angepriesen. Und in vielerlei Hinsicht machen sie das Leben tatsächlich einfacher; sie verringern den Zeitaufwand und die Mühe, die Kommunikation und die Erledigung wichtiger Aufgaben mit sich bringen. Gleichzeitig aber binden sie uns noch fester an all die Verursacher unserer Geschäftigkeit. Unsere Bildschirme sind unsere Verbindung zu allem, was uns springen lässt – unumgänglich oder freiwillig, lohnend oder albern. Wenn Sie eine Handynummer, einen Browser und ein E-Mail-Konto besitzen, sind unbegrenzt viele Leute und Institutionen in Ihrer Reichweite. Und Sie in ihrer.
Wir haben uns diese Lebensweise allzu bereitwillig zu eigen gemacht, sowohl als Individuen wie als Gesellschaft. In den letzten zehn Jahren haben wir hart daran gearbeitet, in jedem Winkel unserer Existenz digital verbunden zu sein, und sobald das erst der Fall war, daran, die Verbindung noch schneller und reibungsloser zu machen. Einwahlverbindungen haben dem schnellen Breitbandzugang den Weg bereitet, der dann
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