Einfach bezaubernd
Jenseits des Felsabhangs spiegelte sich der Mond im Fluss, und das Städtchen verblasste zu geometrischen Schatten. Es war das Bild, das sie gerade malte.
Dee holte tief Luft. Wie sollte man einem anscheinend normalen, gesunden Mann jemanden wie Xan erklären? Sie ist bösartig und eine Marilyn Monroe zugleich. Sie ist eine fleischfressende
Pflanze, die sich als Rose maskiert. Sie ist der Wunschtraum jedes Mannes und der Albtraum jeder Frau. Korrupt, clever und hinterhältig. Xan saugt Leute aus wie ein Vampir und entlockt ihnen dabei noch ein Lächeln .
Wenn aber Danny James wirklich die Wahrheit gesagt hatte, dann würde er das nie verstehen.
»Xan ist die Person, die den Niedergang meiner Eltern arrangiert hat«, begann Dee schließlich. »Mein Vater war es nicht, der dieses Schenkungsprogramm organisiert hat. Das war Xan. Mein Vater war nicht so schlau. Xan hat ein Vermögen damit gemacht, dem nie jemand auf die Spur kam, und sie ist im passenden Augenblick verschwunden, ungefähr einen Monat bevor die Polizei mit dem Haftbefehl kam.« Und tauchte dann genau im richtigen Moment wieder auf, um ihre eigene Schwester zu ermorden .
»Bist du sicher?«
Dee lächelte ins Dunkle hinein. »Oh ja, ich bin sicher.«
Sie hörte, wie Danny auf die Füße kam und zu ihr ging. Sie wandte sich nicht um. Der Abendstern hatte gerade begonnen zu blinken, und instinktiv kam der Wunsch: Lass uns in Sicherheit sein . Danny kam näher, bis er hinter ihr stand, und legte seine Hände auf ihre Schultern.
»Es tut mir so leid«, sagte er. »Das wusste ich nicht.«
Dee musste gegen Tränen ankämpfen. »Ja. Mir tut es auch leid.«
Sie hatte dieses unspektakuläre kleine Tal, diesen natürlichen Altar lieb gewonnen. Sie wollte hier nicht weg. Danny James aber ließ ihr keine Wahl.
»Ich würde gern deine Seite der Geschichte hören«, meinte er. »Ich bin sicher, deine Tante wird mir nur ihre Seite erzählen.«
Dee wandte sich um, um ihn anzusehen, und erkannte, dass er ihr zu nahe war. Sie trat weit genug aus seiner Reichweite
zurück, um ihn besser sehen und einschätzen zu können. Er wirkte so offen, so ehrlich. War er so clever, oder war er zu rechtschaffen, um Xan zu durchschauen? Das waren im Allgemeinen die Männer, auf die sie spezialisiert war.
»Was ist für Sie selbst dabei drin?«, fragte sie.
Er sah sie eine Minute lang nur an. »Es ist mein Job.«
»Nein, ist es nicht. Zumindest nicht nur. Ich höre es in Ihrer Stimme. Warum machen Mr. Delaney und Sie eine solch komische Kehrtwendung ins Nichtfiktive?«
»Weil schon zu viele Leute darunter leiden mussten, dass sie Unwahrheiten glaubten.«
Dee blickte ihn nicht einmal an. »Das Gleiche sagen viele Leute über Religion.«
»In Religion stecken gewisse Wahrheiten. In dieser Geschichte hier aber nicht.«
Dee schüttelte den Kopf. »Es ist etwas Persönliches?«
Einen langen Augenblick blickte er über das Tal hinaus. Der Wind zerzauste sein Haar, und der Baum flüsterte über ihnen. »Ich habe gesehen, welchen Schaden Scharlatane anrichten können«, sagte er schließlich.
Es war, als sei in ihm ein Licht erloschen. Dee sah, wie Schatten sich ausbreiteten. Sie überlegte.
»Können Sie es mir erzählen?«
Er blickte auf, und seine Augen glühten seltsam in der Dämmerung. »Nun ja, ich kannte mal jemanden. Hat ihren Mann und ihren Sohn bei einem Flugzeugunfall verloren.«
Dee seufzte. »Und wurde Opfer von Leuten, die ihr erzählten, sie könnte mit ihren Liebsten im Jenseits Kontakt aufnehmen?«
Er nickte nicht einmal. »Das Schlimmste war nicht das Geld, das sie dabei verlor, sondern ihr vergeudetes Leben.«
»Ja«, stimmte Dee bei. »Es gibt allerlei Scharlatane in der Welt. Zweifellos.«
»Aber deine Eltern, waren die auch welche?«
Einen ewig währenden Augenblick blickte Dee ihn nur an. Wog die Komplikationen ab, die ihre Antwort barg; die das Buch mit sich bringen konnte, das Mark Delaney mit oder ohne ihre Hilfe schreiben würde. Würde sie Danny James’ Vorurteile bekräftigen oder abschwächen? Es sollte ihr egal sein. Sie würde bald fort sein.
»Wird wirklich ein Buch darüber geschrieben?«
Er sah verletzt drein. »Natürlich wird ein Buch darüber geschrieben.«
Sie nickte. »Also … sie glaubten ehrlich daran, dass sie den Menschen halfen.«
»Und haben sie das? Ich meine, geholfen?«
»Viele haben es behauptet.« Leute, die Geld sandten, damit man ihnen weissagte. Geld, das für Häuser und Autos ausgegeben wurde, und für all
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