Einfach ein gutes Leben
erledigen. Unter der Woche bleiben aber nicht so viele Stunden für die Kleinlandwirtschaft, wie er sich wünschen würde, da er nebenbei auch auf dem benachbarten Bauernhof mithilft. Lisa studiert in Wien, kommt nur für das Wochenende raus. Sie versucht, alles, was die Uni betrifft, am Freitag abgeschlossen zu haben, damit sie den Samstag und Sonntag frei hat für den Garten und das Haus.
In den ersten Wochen machten die beiden zunächst Bekanntschaft mit den Unwägbarkeiten der Landarbeit. Als sie das Gartenstück urbar machten, kam eine ganze Menge Bauschutt ans Tageslicht. Teile der Fläche waren durch Steine und Sand zusätzlich ungeeignet für die meisten Nutzpflanzen, sodass Michael und Lisa fruchtbarere Erde aufschütten mussten. Immer wieder schlägt durch, dass ihnen noch eine Menge praktischer Erfahrung fehlt. »Wir haben zum Beispiel zum Teil keine Ahnung gehabt, wie die Keimlinge der verschiedenen Pflanzen aussehen und so ist es uns schon passiert, dass wir Keimlinge als vermeintliches Unkraut wieder ausgerissen haben«, gesteht Lisa. »Es gibt noch unendlich viel zu lernen und wir haben etliche Fehler gemacht. Über das, was wir bisher geschafft haben, freuen wir uns total.«
Von Enttäuschung oder Ernüchterung ist bei Lisa und Michael also keine Spur zu sehen. Im Gegenteil: Die beiden fühlen sich durch ihre bisherigen Erfahrungen bestätigt, dass es genau richtig war, mit der Selbstversorgung zu beginnen. Überdies war bereits vor dem Januar 2010 die Entscheidung für den Hof gefallen. Sie war nur die »logische Konsequenz aus unserem Streben nach einem sehr nachhaltigen Lebenmit der Natur«, wie Michael zusammenfasst. Ein Erweckungserlebnis, den berühmten Blitz in den Baum, hat es für beide nicht gegeben. »Es waren eher kleine Erlebnisse, die sich unterbewusst angehäuft haben«, sagt Lisa. Erfahrungen mit Gartenarbeit zu Subsistenzzwecken hatten beide bereits gemacht. Ihre Konsumgewohnheiten sind ihnen dabei nach und nach immer bewusster geworden, aber ihnen wurde auch klar, dass »korrektes Einkaufen« und mit weniger gekauftem Besitz zu leben allein nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Irgendwann formte sich dann der Gedanke: Was, wenn wir ausschließlich so leben könnten – mit einem Garten voller Nahrungsmittel? Und dann sind sie hingegangen und haben es einfach getan.
Ein Risiko gehen die neuen Selbstversorger in jedem Fall ein. Manche lehnen sich sogar noch weiter aus dem Fenster als Michael und Lisa, die immerhin ihren Job in der Stadt beziehungsweise ihren Studienplatz behalten haben. Das Paar Giann und Vanella lebt in Südtirol auf einem Bergbauernhof, den es konsequent zum Zweck der Selbstversorgung bewirtschaftet. 14 Fast alles, was sie zum Leben haben, beziehen sie von dort. Sie mussten sich ihre Kenntnisse und Fertigkeiten erst nach und nach aneignen, viel durch die alltägliche Arbeit im Gemüsegarten, an den Obstbäumen oder auf den Weiden und in den Ställen, wo sie die Ziegen, Schafe, Hühner, Puten und die zwei Kühe untergebracht haben. Manches mussten sie sich auch anlesen, von Bekannten oder Nachbarn haben sie gute Ratschläge bekommen, vieles kam durch Ausprobieren dazu. Ihr Land mussten sie erst einmal kennenlernen. Zu einem Subsistenzhof sollte eben auch gehören, zu wissen, wo in dem dazugehörigen Stück Wald die essbaren Pilze, die Kräuter und die Wildfrüchte wachsen. Mittlerweile wissen sie, wie’s geht, und erarbeiten mit dem Vieh und den Nutzpflanzen sogar Überschüsse, die sie im Ort zum Tausch oder als Geschenke für Freunde verwenden.
Ihr Ziel ist ein eigenständiger Lebensunterhalt, der so weit wie möglich ohne Geld gesichert sein soll. Sie wollen »aus dem Geld« sein, wie man in Südtirol sagt. Der Naturalientausch funktioniert gut beim Handeln von Mensch zuMensch. Die Steuern, die Stromrechnung oder die Versicherungen müssen sie notgedrungen weiter mit Geld bezahlen, das sie unter anderem über die Viehhalteprämie einnehmen. Beim Zahnarzt kann es dagegen gerne auch einmal Lammfleisch sein.
Heißt aus dem Geld sein denn, aus dem Leben zu sein, dem Leben aller anderen? Sind die neuen Selbstversorger nichts weiter als Aussteiger, die mit der Moderne einfach nichts mehr zu tun haben wollen? Giann und Vanella würden wohl eher sagen, sie seien durch den Hof ins Leben wieder eingestiegen. 15 Sie sind nicht draußen, aber eigen, wie alle neuen Selbstversorger. Sie tun alle einen Schritt in eine Existenz, die für die meisten unvorstellbar wäre,
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