Einfach ein gutes Leben
abwegig, weit weg vom Gewohnten. Die einen tun den Schritt vorsichtiger, die anderen beherzter; die einen tun ihn absichtsvoll und mit einem Plan, die anderen beiläufig und ohne bewusste Reflexion. Keiner von ihnen dreht der von Märkten geprägten Gesellschaft jedoch ganz den Rücken zu, keiner von ihnen könnte. Michael und Lisa sind (vorerst) nur zeitweise in ihrem Häuschen in der Buckligen Welt, unter der Woche gibt es einen Job zu machen und ein Studium abzuschließen. Peter Huth hält seine Landwirtschaft größtenteils zum Verkauf, ist regelmäßig in Berlin unterwegs, um Kunden zu beliefern. Auch Giann und Vanella, die sich vielleicht am weitesten autark gemacht haben, treiben einen regen Tauschhandel mit allem, was auf ihrem Hof wächst und lebt.
Sie nehmen dafür die eine oder andere Härte in Kauf. Selbstversorgung kann (vor allem am Anfang) sehr unbequem sein. Der Lebensstandard fällt bisweilen zunächst ungewohnt niedrig aus. Das neue Heim muss vielleicht erst bezugsfertig gemacht werden. Und Garten- oder Landarbeit ist generell harte Arbeit. Nicht jeder kommt sofort mit einem Leben auf einem Hof zurecht. Widrigkeiten gehören zur Selbstversorgung dazu. Aber ist das nicht lediglich der Eintrittspreis für einen Lebensstandard, dessen tatsächliche Qualität nach den herkömmlichen Maßstäben gar nicht zu bemessen ist?
Die Wahl für ein auf den ersten Blick unbequemes Leben macht die neuen Selbstversorger noch nicht zu Aussteigern.Schon allein weil aussteigen bedeuten würde, in der Gesellschaft, die sie kritisieren, keine Rolle mehr zu spielen. Die Rolle der neuen Selbstversorger allerdings ist eben längst noch nicht ausgemacht. Vielleicht sind es gerade sie, die einer sehr jungen, noch kaum sichtbaren Entwicklung voranschreiten. Jedenfalls muss vor dem neuen Leben aber ein Stück Abkehr vom alten stehen.
Unter dem Müll
Dass Selbstversorgung in unseren »entwickelten« Industrieländern nur noch von ein paar traditionsbewussten Landleuten oder weltabgewandten Grantlern betrieben würde, ist ein Vorurteil, das wahrscheinlich nie ganz gestimmt hat und heute ganz sicher nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Die neuen Selbstversorger sind oft noch jung, in jedem Fall zeitkritisch und bereit, etwas zu wagen. Und sie wohnen häufig in der Stadt. In den Metropolen sprießt neuerdings wieder das Grün, und das nicht, weil die städtischen Grünflächenämter reger geworden wären, sondern weil eine moderne Selbstversorgerbewegung die dicht besiedelten Flächen Berlins, Hamburgs oder Münchens als Gartenbauerwartungsland entdeckt hat. »Urbane Subsistenz« ist ein Weckruf und eine Lebensauffassung geworden für viele, die der Konsumwüste müde geworden sind.
In Berlin beispielsweise ist die Zahl der urbanen Neugärtner groß genug geworden, um ein Netzwerk zu gründen. Urbanacker heißt es und fasst über 40 Gemeinschaftsgärten, Nachbarschaftsgärten, interkulturelle Gärten, Stiftungen und Projekte zur städtischen Landwirtschaft zusammen. Das Netzwerk gibt es schon einige Jahre, sicherlich profitiert es auch von dem derzeitigen Trend zum Gärtnern, aber das ist nicht sein ganzes Erfolgsgeheimnis. Der Anbau von Nahrungsmitteln interessiert immer mehr Menschen und veranlasst sie zum Handeln. Tatsächlich steht dieses Motiv bei denjenigen häufig im Zentrum, die sich in den zahlreichen Gemeinschaftsgärten engagieren.
Das hat auch Elisabeth Meyer-Renschhausen beobachtet und gleich ein ganzes Buch zu den Community Gardens in New York geschrieben. 16 Urban Gardening ist ein internationales Phänomen. Im Big Apple (was für ein sprechender Name!) hat urbanes Gärtnern schon eine längere Tradition als in Deutschland. Vor allem in den ärmeren Stadtvierteln steht dabei die Produktion von Lebensmitteln für den Eigenbedarf oder zum Tauschen im Vordergrund. In der Ära des Bürgermeisters Rudolph Giuliani wurde das »wilde« Gärtnern auf freien Parzellen mitten in den öden Wohnblocks noch als »Kommunismus« verschrien. Aber die städtischen Bäuerinnen ließen sich nicht abschrecken. Sie sind den Kampf um jeden Quadratmeter mit der Kommunalverwaltung, den Immobilienbesitzern oder den Bodenspekulanten gewohnt.
Unter dem Müll der Acker heißt Meyer-Renschhausens Buch. Der Müll steht nicht bloß deshalb im Titel, weil er oft als Einziger die brachen Flächen bevölkert, bevor ein paar Engagierte einen Nachbarschaftsgarten daraus machen. Nein, die Neugärtner müssen sich bisweilen selbst wie
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