Einfach ein gutes Leben
soll. Nach den Vorstellungen der Agropolis-Vordenker wird prinzipiell jeder freie Quadratmeter zugänglich gemacht für »die kreative Aneignung von untergenutzten Flächen wie Flachdächern, Fassaden, Lücken und Nischen, die Aufwertung von Hausgärten, Balkonen und Gemeinschaftsgärten«. 20 Viel Platz für Selbstversorger also.
Das Agropolis-Projekt ist in der Tat aus einem Nachdenken über eine autarke Versorgung der Stadt mit Nahrungsmitteln hervorgegangen. Autarkie ist das erklärte Ziel des Vorhabens, die Landwirtschaft mitten in die Stadt zu holen. Aus der alten Zweiteilung in einen Stadtraum und einen außerhalb liegenden Versorgungsraum machen die Agropolis-Entwickler ein gemischtes Konzept, eine Agro-City, wenn man so will. Ihre Vorstellungen kommen gut an: Auf dem 2009 von mehreren Landesministerien ausgerufenen Ideenwettbewerb »Open Scale« konnte das Projekt den ersten Platz gewinnen.
Eine größtenteils nachtaktive Spielart der urbanen Selbstversorgung kommt in Deutschland seit wenigen Jahren allmählich ans Tageslicht. Sie sucht unter dem Müll nicht den Acker, sondern gleich nach Essbarem. »Mülltaucher« steigen nach Ladenschluss in die großen Container hinter den Discountern und Verbrauchermärkten und fahnden nach Lebensmitteln, die dort nur gelandet sind, weil ihr Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Falk Beyer (29) ist einer von ihnen. Er kommt ohne bezahlten Job aus, engagiert sich aber im Jugendumweltbüro seiner Stadt Magdeburg. Auch sein Ziel ist, mit so wenig Geld wie möglich seinen Unterhalt zu bestreiten. Also zieht er abends mit ein paar Gleichgesinnten los und holt sich Obst, Brot und Gemüse aus der Tonne. Das, was sie finden, ist sehr oft noch gut, in jedem Fall genießbar, manchmal völlig makellos, die Verpackungen noch ungeöffnet. Beyer und seine Freunde nehmen mit, so viel sie essen können. Sie praktizieren dabei den bewussten Umgang mit Lebensmitteln, der allzu oft schalen Rentabilitätserwägungen geopfert wird.
Die haben auch Anna Poddig auf die Palme gebracht, selbst ernannte »Vollzeitaktivistin« und Autorin des Buches Radikal mutig – Meine Anleitung zum Anderssein , mit dem sie 2009 durch alle Medien gegangen ist. Poddig ist Jahrgang 1985 und hat trotzdem schon so ziemlich alles gemacht, was die deutsche Protestkultur herzugeben imstande ist. Mit dem Mülltauchen oder Containern, wie es auch heißt, erreicht sie nicht nur einen Gutteil ihrer Lebensmittelversorgung, sondern protestiert auch gegen die Praxis der Einzelhandelsunternehmen.
»Unmengen von Lebensmitteln werden weggeschmissen, weil es sich finanziell nicht lohnt, damit sparsam umzugehen«, schreibt sie. »Die Lebensmittel reduziert abzugeben lohnt sich meist nicht, die Gewinnspanne wäre dann zu niedrig. Es kommt am Ende mehr Geld dabei heraus, wenn neue Ware bestellt wird und die ›nicht stimmige‹ ohne größeren Arbeits-, Zeit- und Personalaufwand im Müll verschwindet.« 21
Das ist nicht gut genug, finden sowohl Poddig als auch Beyer, und haben sich damit in eine Reihe gestellt mit ungezählten anderen Mülltauchern weltweit. In den USA heißen sie »Freegans« (von »free« und »vegans« = Veganer) oder »Dumpdiver«. New York ist den Deutschen einen kleinen Schritt voraus, dort gibt es bereits Führungen zu den besten Containering-Plätzen.
Hier wie dort gleichen sich die Mülltaucher jedoch in ihrer Grundhaltung der Kritik an der unmäßigen Verschwendung in unserer Konsumgesellschaft. Wie die ARD in ihrem Dokumentarfilm »Frisch auf den Müll« berichtet, ist die Liste des Unfassbaren in Lebensmittelhandel und -produktion tatsächlich besonders beeindruckend. Die Verbrauchermärkte etwa halten laut Bericht stets rund ein Fünftel mehr Waren vorrätig, als überhaupt verkauft werden können, um den Kunden eine von ihnen erwünschte breite Auswahl anzubieten. Gemüse und Obst werden zum Teil bereits beim Erzeuger zu 40 bis 50 Prozent aussortiert, da es den Auswahlkriterien der Hersteller nicht entspricht. Was Flecken hat, kommt schon mal weg. Das gilt auch für alle verpackten Produkte, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist – was jedoch nicht, wie landläufig angenommen, bedeutet, dass die Ware beim Verzehr gesundheitlich bedenklich wäre. Joghurt zum Beispiel trägt einfach ein gewisses Risiko, seine Cremigkeit einzubüßen, wenn er länger steht. In der Folge heißt das: Rund die Hälfte aller Lebensmittel landet vor Gebrauch auf dem Müll. Deutschland verschwendet hochgerechnete 20
Weitere Kostenlose Bücher